Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS, üblicherweise ausgesprochen und betont wie Mercedes ohne M [eːɐ̯ ‘t͡seːdɛs]) gilt gemeinhin als Hort langweiliger Spießer, die neben dem von Daddy finanzierten Jura- oder BWL-Studium ein bisschen die künftige Parteikarriere in der Union vorbereiten und Seilschaften knüpfen wollen in einem Verein, in dem Roland Koch noch als Linksliberaler gelten würde. Auf den Treffen singen sie in Holzfällerhemden und Burschenschaftsbändern das komplette Lied der Deutschen ab, und bringen ansonsten nicht viel zu Stande außer ASten abschaffen zu wollen und gelegentlich bei Wahlen mit Tarngruppen anzutreten, so die verbreitete Vorstellung jedenfalls. Doch diese ist grundlegend falsch! Denn der RCDS macht uns auf ein leider viel zu wenig beachtetes Thema aufmerksam, von dem allerdings noch erhebliche Gefahren ausgehen könnten. Dazu ein Zitat aus dem Grundsatzprogramm des RCDS (“Der Zukunft offen begegnen”, Seite 8):
Der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik wird in den nächsten Jahren eine große Bedeutung zukommen. Maschinen können in Zukunft vermehrt selbst zum Teil des menschlichen Körpers werden. Da der biologische Körper ein wesensbestimmendes Merkmal des Menschen ist, lehnt der RCDS es ab, auf eine Ersetzung des biologischen Körpers durch synthetische Organe und Komplexe hinzuarbeiten. Dabei befürworten wir die Bemühungen der Prothetik und Medizin, beschädigte Körperteile durch möglichst ausgereifte Prothesen zu ersetzen. Der Ersatz eines unbeschädigten Teils des Körpers durch eine vermeintlich funktionell bessere Prothese kann und darf aber nicht Ziel dieser Bemühungen sein.
Der RCDS ist also gegen Cyborgs. Richtig gehört! Ja, der RCDS kümmert sich um die wirklich wichtigsten und vordringlichsten Probleme unserer Gesellschaft: Natürlich die, dass sich Leute ihre kerngesunden Körperteile abschneiden, um sie durch Maschinenteile zu ersetzen! Was sonst? Und er hat auch allen Grund dazu, wissen wir doch, was für einen Schaden die Cyborgs in Zukunft anrichten werden: Ohne Zweifel werden diese seelenlosen Robotermenschen bald die ganze Welt unterwerfen und in in eine kalte Technikdystopie verwandeln. Wo früher fruchtbare Äcker waren, wird kahle Ödnis herrschen, und statt Bäumen werden nur noch rauchende Schlote in den Himmel ragen! Eine Maschinenwelt, in der patroullierende Drohnen Jagd auf die letzten verbliebenen Menschen machen.
Doch vor all dem kann uns – Gott sei’s gedankt! – der RCDS, der Treffpunkt der wahren Menschenfreunde an unseren Universitäten, bewahren. Während sich die ganzen linken Randalierer und langhaarigen Bombenleger von den anderen Gruppen mit Karl-Marx-Lesekreisen, der Weltrevolution, Problemen mit Bachelor/Master oder Studiengebühren beschäftigen, weiß der RCDS, dass das alles nur umwichtige Randerscheinungen sind und man sich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren muss: die drohende Cyborg-Gefahr! Und das erklärt auch die sonstigen Haltungen des RCDS: denn was liegt folglich näher, als gleich die studentische Mitbestimmung und Selbstverwaltung samt StuPa und AStA abzuschaffen, um alle Kräfte zu bündeln – für den finalen Kampf der Menschheit gegen die Maschinen?
Denn wir sollten die Macht der Cyborgs keineswegs unterschätzen. Wir haben doch alle gesehen, Darth Vader hatte, schon kurz nachdem er den schicken Helm aufgesetzt bekam, deutlich mehr Macht als er als Anakin Skywalker je hatte. Und der Terminator lässt jeden Zerstörungsorgie eines Rambo aussehen wie einen Pfadfinderinnenausflug. Und jetzt kommt mir bloß nicht mit: Anakin Skywalker war ja gar kein Mensch (das ist egal!) und der Terminator eher ein Android (na gut, stimmt)!
Und die Zeit drängt, die Gefahr ist wirklich ganz unmittelbar! Denn wenn man eine strengere der unzähligen Cyborg-Definitionen zu Grunde legt, konnte man eigentlich schon die Piraten, die ja ausnahmslos mit Glasauge, Hakenhand und Holzbein rumliefen, im Grunde als Cyborgs bezeichnen. Und der Fortschritt der Technik tat sein Übriges. Laut dem hochrenommierten und vielzitierten Cyborg Handbook (Chris Hables Gray (Hrsg.): The Cyborg Handbook. New York/London 1995) sind heute bereits jetzt 10 Prozent der amerikanischen Bevölkerung Cyborgs! Und natürlich ist es nur noch ein kleiner Schritt, sich nicht nur künstliche Herzschrittmacher, Beinprotesen oder Zahnkronen machen zu lassen, sondern sich selbst zu verstümmeln, um eine elektrische Nase, eine silberne Zunge oder einen güldenen Lümmel zu bekommen. Das müssen wir unbedingt verhindern, ganz klar, sonst machen das alle!!1!
Und es gibt noch ein Problem: den großen Bruder der Cyborgs, den Roboter. “Ein Rumpf, zwei Beine, zwei Arme und ein Kopf – so hat ein ordentlicher Roboter auszusehen”, schreibt Telepolis natürlich zu Recht. In diesem Jahrzehnt könnten Ober- und Unterkörper menschenähnlicher Roboter dann endlich mal zusammenwachsen – so weit zusammenwachsen, dass sich ihnen “ganz neue Handlungsmöglichkeiten erschließen”. Wir können uns ja schon denken, was das sein wird: Die Unterjochung der Menschheit! Vielleicht verbünden sich bald die Cyborgs mit den Vollrobotern (und natürlich mit diesen “Computern”). Wir dürfen keine Zeit verlieren. Der Feind schläft nicht (muss ein Roboter ja auch nicht)!
Die Cyborgs haben auch noch Verbündete auf völlig unerwarteter Seite. Komfortablerweise kann der RDCS da auch alte Feindbilder beibehalten. Für die amerikanische Feministin Donna Haraway etwa wäre die Cyborgtechnologie aus Emanzipationsgründen zu begrüßen, da Cyborgs aus dem üblichen Kategoriedenken herausfielen und “von Natur aus weder männlich noch weiblich, und doch wieder beides” seien. Sie könnten so auch die patriarchalen und herrschaftlichen Codes der symbolischen Ordnung durcheinander bringen und dadurch Emanzipationschancen eröffnen. Wie es sich für eine postmoderne Feministin gehört, meint sie, dass es so etwas wie vermeintliches weibliches und männliches Verhalten oder vermeintliche weibliche oder männliche Eigenschaften oder gar – die Göttin bewahre! – ein vermeintliches weibliches oder männliches Wesen natürlich nicht gebe und alle vermeintlichen Unterschiede, nicht zuletzt das vermeintliche Geschlecht selbst, natürlich ausschließlich sozial konstruiert sind. Und um das zu veranschaulichen und zu beweisen, dass wir uns ja nur einbilden, dass es so etwas wie Männlein und Weiblein gibt (Männer und Frauen? Wer an so etwas glaubt, glaubt auch noch an Feen oder Einhörner!), brauchen wir natürlich Cyborgs! Ja, denn die können helfen, die “Grenzziehungen zwischen Mann/Frau, Mensch/Maschine und Physischem/Metaphysischem aufzuheben und neu zu denken”. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann das Cyborg Manifesto lesen, das es etwa auf der Seite der Stanford University (ja, wirklich …) gibt.
Also dafür sollen wir mutwillig die Zukunft der Menschheit riskieren, damit uns irgendwelche androgynen MaschinenmenschInnen zeigen, was für elende Sexisten wir alle sind, oder um irgendwelchen esoterischen Kram zu belegen? Pah! Irgendwann werden die Cyborgs Forderungen stellen, und reicht man ihnen den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand (und ersetzen sie durch eine mechanische)! Kein Nachgeben den Cyberterroristen! Dann haben wir noch eine Chance! Wie in Afghanistan muss gelten: “Rammt eure Zähne in ihr Fleisch und lasst nicht mehr los” (man muss bloß aufpassen, dass man keine Metallteile erwischt)! Gut, dass wir den RCDS haben. Nur er kann uns in diesem Kampf anführen. Damit es in Zukunft nicht überall auf unserer geliebten Erde heißen wird: “Domo arigato, Mr. Roboto!”
Bilder:
(1) Flickr (Moth) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de
(2) Flickr (brian kong) / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en
(3) Flickr (Christopher Kobayashi) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de
(4) Flickr (Bruno Girin) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de
(5) Flickr (Briana Franco) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de
(6) Picasa (Egon) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Also echt. Das sieht nach viel Fernsehen und schlechten SF aus. Womit mal wieder bewiesen ist. Auch christlich demokratische Studenten, sollten dringend ihren Fernsehkonsum einschränken, und auf edle SF-Literatur einschwenken. Ich empfehle Ben Bova. Das Thema neu erwachter christlicher Riten in der Zukunft, wird bei ihm ganz besonders schön behandelt. (Dan Simmons Endymion, auch schwer zu empfehlen 😉 Aber den goldenen Lümmel? Hmmm. Ok, – ich bin interessiert.
klar, dass sich ausgerechnet diese studenten so darauf versteifen, ist blöd, aber wenn man liest was diese amerikanische feministin sagt (ich steige mittlerweile dahinter was feminismus wirklich ist, aber das steht auf einem anderen kommentar-blatt…) – da wird es einem doch schlecht! und gerade WEIL das ganze von renommierten wissenschaftlern (aus stanford und anderswo!) so gepushed wird, könnte solche dystopischen szenaieren näher sein, als man denkt. ich traue regierungen (nicht nur amerikanischen) ALLES zu, auch, dass sie extra welche als cyborgs ausrüsten, um sie in den krieg zu schicken. aber nicht nur. das wird alles eine große geldmacherei sein, schon heute wären wir soweit jedem kind aus einem kriegsgebiet, das ein bein verloren hat durch eine mine oder so, ein neues zu geben, eine prothese. diese vermeintlichen traumszenarien der transhumanisten werden nur für wenige, reiche elitäre menschen sein. alle anderen werden leiden müssen wie bisher.
schon am anfang des filmes “avatar”, den jeder ja sooooo geil fand, hab ich SCHEISSE geschrieen, der typ mit seinem rollstuhl faselt etwas von tja weil er halt kein geld hat muss er weiter im militär arbeiten und kriegt keine neuen beine… wir fliegen also auf andere planeten und transplantieren bewusstseine (!!!) in andere körper – aber dieser typ kriegt keine neuen beine. er darf sein mind in einen anderen körper transferieren, aber seinen eigenen kriegt er nicht repariert, obwohl es mit einem fingerschnippen möglich wäre.
das ist die mentalität hinter den transhumanisten, und daher bin ich auch dagegen, und klar ist diese studentengruppe irgendwie doof – aber im grunde genommen, ganz weit hinten und ganz weit draußen weg vom tellerrand, haben sie einfach recht!