Neues auf Guardian of the Blind

Design, Schrift und Kommentare

So, ich habe noch ein paar kleine Veränderungen im Blog vorgenommen, v.a. beim Design. Es gibt jetzt auch einen Blog-Ticker (rechte Spalte) und Banner zu wie ich finde unterstützenswerten Aktionen und Seiten. Ich habe versucht, insgesamt das Blog einheitlich zu gestalten. Es müsste jetzt außerdem alles auf Deutsch übersetzt sein, oder?

Die Schrift habe ich auf Schwarz und auf eine übliche Größe gesetzt. [Hinweis: Wenn sie jemandem zu klein ist, kann man sie auch mittels “Strg +” vergrößern (“Strg -“: verkleinern) (im Firefox kann man auch bei Ansicht -> Zoom -> Nur Text zoomen auswählen, beim Internet Explorer – ich hoffe ja nicht, dass den jemand benutzt 😉 – geht auch Ansicht -> Textgröße)].

Bei den Kommentaren hab ich mich für eine Nummerierung entschieden. Ich hab leider bisher kein gutes und richtig funktionierendes Plugin gefunden, mit dem man nummerieren und auf einzelne Kommentare antworten verbinden kann (z.B. dann mit der Nummerierungsform x.x) und krieg es selber nicht richtig hin. Es gibt jetzt Permalinks zu den Kommentaren (beim Datum), eine Vorschau-Funktion und eine Funktion, mit der man seinen Kommentar im Zeitraum von 30 Minuten noch nachtäglich editieren kann. Außerdem habe ich mit einem Plugin Twitter besser integriert.

Falls ihr noch Anregungen und Verbesserungsvorschläge habt: nur raus damit!

Zitieren und Verbreiten

Ein Zitieren und Verbreiten der Beiträge ist weiterhin ausdrücklich erlaubt und erwünscht, wobei ich um einen Link zum Originalpost (und wenn möglich einen Trackback) bitten würde. Als Lizenz gilt Creative Commons – Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (bei anderen Verwendungswünschen bitte einfach eine Mail an die im Impressum genannte Adresse schicken).

Und ich würde mich auch weiterhin für eine Weiterverbreitung der Artikel (z.B. über den Share/ Bookmark-Button) und eine Bewertung des Blogs bei den Blog-Verzeichnissen (rechte Spalte) bedanken!

Werbung?

Zu einem anderen Thema: ich überlege, ob ich vielleicht Werbung hier schalten sollte. Keine Angst – es soll hier keine Kommerzialisierung geben. Auch ich sehe Werbung in vielen Fällen durchaus kritisch. Aber: das Bloggen kostet dann doch einen großen Teil der kleinen Zeit, die mein Studium im Moment noch übrig lässt. Wenn zumindest die Kosten der Seite gedeckt würden, wäre dies schon eine kleine Hilfe. Eine mögliche Gefahr der Einflussnahme auf die Inhalte der Texte kann ich auch schon mal ausschließen (allein schon, da die Einnahmen wohl nicht sehr hoch sein dürften ;-)).

Aber was ich als wichtig ansehe, dass es auch passen sollte und man nicht für Dinge Werbung schaltet, die man ablehnt.  Das wohl einfachste, Google-Adsense passen ja bspw. schon recht oft (auch wenn manchmal doch ein paar Ausrutscher dabei sind). Aber es ist auch nicht immer unbedingt Untersützenswertes dabei. Ich überlege, ob ich das vielleicht mal ausprobieren sollte, bin aber eigentlich recht skeptisch. Ich will bestimmt keine Werbung für irgendwelche dubiosen Websites oder Springer-Presse auf meiner Seite haben.

Wozu ich tendiere, sind diese Amazon-Empfehlungen. Man kann dort selbst Produkte empfehlen, z.B. Bücher, die man für lesenswert hält. Damit wäre man sicher, keine unerwünschten Produkte zu bewerben. Ein paar Leseempfehlungen wollte ich ohnehin geben, so wäre also vielleicht sogar unabhängig von eventuellen Einnahmen sinnvoll.

Aber wie sehen das die Leser? Gibt es Gründe, die dagegen sprechen würden? Gibt es bessere Möglichkeiten? Ich würde mich über ein Feedback freuen!

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Urban Priol über Merkels “alternativlose Politik” und Silvanas Rechenkünste

Aus der neuesten Folge von Neues aus der Anstalt: Urban Priol über die TINA-Politik von Angela Merkel, hinter der sich eigentlich eine völlige Konzeptionslosigkeit verbirgt, und über die Rechenkünste von Silvana Koch-Mehrin (FDP, INSM, “Praline”-Kolumnistin. Achso, und promoviert in Wirtschaftsgeschichte)

http://www.youtube.com/watch?v=8FuojlXaWoQ

Von der letzten Folge hatte das ZDF einen Clip auf Youtube gestellt (Kathedralen der spätkapitalistischen Dekandenz). Inwzischen hat es das Video aber entfernt. Hat das was mit diesem furchtbaren Rundfunkstaatsvertrag zu tun? Oder hat das die CDU verboten? Naja, egal, dann so:

http://www.youtube.com/watch?v=7F9CiuaIFVY

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 2

Die Kampagne gegen Rot-Rot-Grün geht weiter. Zunächst sollen noch ein paar Beiträge von Montag Nachmittag/ Abend, dann von heute betrachtet werden.


Report Mainz (danke an die Hinweise in den Kommentaren!) brachte am Montag einen ebenso aggressiven wie dillettantischen Beitrag: “DDR-nostalgisch und linksextrem. Wofür die neuen Landtagsabgeordneten der Linken in NRW stehen” (Video, Schriftform). Isolierte Textpassagen aus Ausrufen, ein Ausweichen auf Suggestivfragen wie “War die DDR ein Unrechtsstaat?” eines aufdringlichen Reporters und Einschätzungen der derzeitigen Bundesregierung wurden dort als Beweis genommen, dass die Linken-Abgeordneten in NRW fast sämtlich Linksextremisten und Verfassungsfeinde seien. Besonders schön: die Linke in NRW sei ein “Hort des Wahnsinns”. Sie dazu auch: Kampagnen- und Indizienjournalismus pur (Freitag.de). NACHTRAG: Und auch Duckhome hat die Sendung analysiert.

Außerdem gab es gestern noch mehrere Beispiele einer unseriösen und v.a. einseitigen Berichterstattung, wie

Nach der Landtagswahl in NRW: Muss der Gegner deines Gegners dein Partner sein? (FAZ.net)

Bemerkenswert ist es allerdings auch aus einem anderen Grund, dass den Grünen der Hamburger Präzedenzfall (damals bildete Ole von Beusts CDU gemeinsam mit der FDP und der kurzlebigen Protestpartei von Ronald Schill eine Koalition) nun wieder einfällt. Denn das Risiko zahlte sich für Beust damals aus: Er entledigte sich bald per Neuwahl beider Juniorpartner, regierte erst allein und inzwischen mit – ausgerechnet – den Grünen. Ob die Grünen nun die SPD ermuntern wollen, ein ähnliches Risiko mit der nordrhein-westfälischen Linkspartei einzugehen, um notfalls den chaotischen Teil der Koalition irgendwann wieder loszuwerden, bleibt Spekulation.

→ Inhaltlich ist der Vergleich mit der mindestens rechtspopulistischen Schill-Partei natürlich hanebüchen bis diffamierend. Doch auch hinsichtlich der Organisation: die Linke in NRW ist, was auch immer man ihr vorwerfen mag, gewiss kein zusammengewürfelter Haufen von weitgehend persönlichen Bekannten mit einem chronischen Mangel an Kompetenz und Redlichkeit.


Un es kamen noch mehrere Vergleiche der NRW- und der Hessen-Wahl und von Hannelore Kraft mit Andrea Ypsilanti. Die Lieblingsfeindin der Systemmedien wird dabei immer noch mit fast grenzenloser Verachtung bedacht. Ein paar Beispiele:

Unklare Mehrheitsverhältnisse: Ist Nordrhein-Westfalen doch Hessen? (Fr-online.de)

Die neue Hoffnungsträgerin der SPD bemüht sich, die bösen Gespenster einer von Dilettantismus und Wortbruch geprägten Vergangenheit zu vertreiben: “Hessen ist nicht Nordrhein-Westfalen. Die Verhältnisse sind in keiner Weise zu vergleichen.” Das sind große Worte. Immerhin aber scheint Kraft aus den Fehlern der Andrea Ypsilanti zu lernen: Eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung schließt sie von vornherein aus.

NRW-Wahl: Kraft in der Ypsilanti-Falle (FTD.de)

Die SPD steckt in NRW in dem gleichen Dilemma wie vor zwei Jahren in Hessen. Allerdings ist die Falle nicht so groß wie seinerzeit bei Andrea Ypsilanti. Anders als diese hat Kraft ein Linksbündnis nie ausgeschlossen, für sie führt der Weg zu Rot-Rot-Grün also nicht über einen Wortbruch. Aber sie weiß auch, dass es nicht leicht zu erklären wäre, würde man sich jetzt mit den Linken einlassen, nachdem man sie im Wahlkampf pausenlos als nicht regierungs- und koalitionsfähig abgetan hat.

Wahl in NRW – SPD im Rausch der Niederlage (Sueddeutsche.de)

Aber nach all dem Linken-Bashing kann sich Hannelore Kraft nicht einmal tolerieren lassen. Dann wäre sie in der Falle der Andrea Ypsilanti, die sich in Hessen vor der Wahl auch klar gegen die Linke abgrenzte und sie dann doch für die Übernahme der Macht nutzen wollte.

Die Ypsilanti-Frage lähmte die Partei monatelang. Sie trieb den damaligen Parteichef Kurt Beck ins Seitenaus. Sie machte die SPD zur Lachnummer. Eine Neuauflage dieser hessischen Verhältnisse kann in der SPD niemand wollen. Da kann Parteichef Sigmar Gabriel vor Selbstbewusstsein so sehr strotzen, dass die Knöpfe am Sakko platzen – die SPD ist nicht im Fahrersitz. Auch die aktuellen Philosophierereien der Generalsekretärin Andrea Nahles von einer “Regierungsbildungsmöglichkeit”, die man auch nutzen werde, helfen in der Sache nicht. (…)

Theoretisch bliebe ihr noch – wenn sie nicht Ypsilanti II. werden will – der Versuch einer Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP. Aber das wäre ein bisschen viel verlangt von den Liberalen.



Am Dienstag geht es weiter, zunächst mit Ypsilanti-Vergleichen:

Patt in NRW: Die Büchse der Andrea (Focus.de)

So wie die Büchse der Pandora den Menschen Krankheiten, Missgunst und Elend brachte, so blieben nach Andrea Ypsilantis gescheitertem Griff nach der Macht 2008 für die Hessen Stillstand, Blockade und Wählerverdruss übrig. Erst Neuwahlen machten das Land nach quälend langen Monaten wieder regierbar. Jetzt hat jemand die Büchse der Andrea wieder geöffnet, und zwar in Düsseldorf.

→ Wow, der Focus bringt ganz schön harten Tobak. Ein heftigerer Vergleich ist schwer vorstellbar. Krankheiten, Missgunst, Elend, das Unheil an sich droht uns! Und an all dem ist Andrea Ypsilanti schuld bzw. wird Hannelore Kraft schuld sein, wenn sie mit der roten Pest koaliert! Oder hab ich das jetzt falsch verstanden? Zum Glück haben wir ja noch die Hoffnung, dass das (rot-rot-grüne) Übel uns verschont und die Große Koalition uns errettet!

Ypsilanti und Kraft – Ein Rat unter Frauen (Sueddeutsche.de)

Hannelore Kraft – eine zweite Andrea Ypsilanti? Die NRW-CDU mutmaßte schon vor der Wahl, dass die SPD-Spitzenkandidatin sich im Falle eines Falles auch mithilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen würde.

Meiner Meinung nach hätte sich Ypsilanti mit ihrem Ratschlag an Hannelore Kraft, über den in den meisten Medien berichtet wurde, zurückhalten sollen. Es war taktisch nicht besonders klug, man darf den Kampagnenjournalisten nicht so eine Steilvorlage liefern.. So drängen sich die Vergleiche ja geradezu auf, und der entscheidende Unterschied, dass Kraft und SPD und Grüne alle eben gerade eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlossen haben, wird von den Mainstream-Medien sowieso gerne verwischt. Es wird sogar wieder der “Wortbruch” herbefabuliert.


Und weiter geht es in der Kampagne …

Analyse: Was nun, Hannelore Kraft? (Fr-online.de)

Rot-Grün-Rot, wenn es denn am Ende dazu kommt, wird keine Frage politischer Überzeugungen von SPD oder Grünen sein. Rot-Grün-Rot kommt (hoffentlich) nicht als “Projekt” daher. Das Bündnis aus SPD, Grünen und Linken wird in erster Linie Ergebnis strategischer Zwänge von SPD und CDU sein. Möglicherweise ist diese Nüchternheit der beste Weg zur Stabilität.

→ Hier sollen beim Bürger in Hinblick auf ein rot-rot-grünes Bündnis unbequeme Assoziationen mit Parteiengeschacher, Machtpolitik und Zweckpartnerschaften abseits von inhaltlichen Überzeugungen und Verhaben geweckt werden. (Vergleich man jedoch die programmatischen Vorstellungen, stellt man fest, dass sich SPD, Grüne und Linke in Wahrheit viel näher stehen als SPD und CDU.)

Linke buhlt um SPD: Ruf! mich! an! (Spon)

→ Spiegel Online führt dort die Schlagrichtung der anfangs dargestellten Kampagne von Report Mainz fort. Die beiden Punkte “Recht auf Rausch” und Verstaatlichung der Energiekonzerne werden unreflektiert kritisiert, es gibt die Hinweise auf “radikale Gruppen”, in denen die küntige Parlamentarier der Linken Mitglied seien, und auf Streitereien innerhalb der Partei. Die NRW-Linke sei dogmatisch und fundamentalistisch. Zudem versucht der Artikel einen merkwürdigen Spagat aus die Linke “will um jeden Preis in die Regierung” und “will eigentlich gar nicht wirklich regieren.” Auf jeden Fall ist der Tenor des Artikels: “mit denen” kann man keine Koalition machen, auf keinen Fall.

Nach der NRW-Wahl: Mikado am Rhein (FAZ.net)

Die andere Möglichkeit ist, das wirtschaftlich bedeutsamste und überdies bevölkerungsreichste Land inmitten einer Wirtschafts- und Finanzkrise mit Antikapitalisten am Kabinettstisch zu regieren. Weil auch vielen in der SPD diese Vorstellung ein Graus ist, dürften sich Frau Krafts Versuche beim Koalitionsmikado so lange hinziehen, bis ihr die eigenen Genossen in den Arm fallen und es dann entweder doch zu einer großen Koalition oder zu einer Neuwahl kommt.

→ Dass es die neoliberale Variante des Kapitalismus war, die uns in gerade diese Finanz- und Wirtschaftskrise gebracht hat, das will man in der FAZ-Redaktion immer noch nicht wahrhaben. Und so werden alle, die gegen den Marktradikalismus eintreten, “Antikapitalisten” (oder woanders gerne “Linksextremisten”, “Chaoten”, “Spinner”, “Populisten”, “Demagogen” usw.)

NACHTRAG: ebenfalls aus diesem FAZ-Artikel:

Der FDP-Landesvorsitzende Pinkwart hat mit seinem Verzicht auf ein kategorisches Nein zu Verhandlungen über eine „Ampel“ taktisches Geschick bewiesen. Einerseits blieb er auf der Linie eines Beschlusses seiner Partei von Anfang Mai und legt den Finger tief in die Wunde. Schließlich ist die erstmals in den Landtag eingezogene Linke ein ausgewiesen linkssektiererischer Haufen.

→ Die Beleidigung übersehen wir jezt einfach mal. Interessant ist die, sagen wir, recht eigenwillige Interpretation des Parteitagsbeschlusses. Denn dieser ist doch recht eindeutig, und da helfen auch keine sophistischen Spielereien:

Die nordrhein-westfälische FDP will die erfolgreiche Koalition aus FDP und CDU weiter fortsetzen. Wir werdenkeine Koalition mit Parteien eingehen, die Bündnisse mit rechtsextremen oder linksextremen Parteiennicht eindeutig ausschließen. Daher kommen für uns Koalitionen mit Grünen oder SPD nicht in Frage. (Wahlaufruf auf dem Landesparteitag der FDP Nordrhein-Westfalen am 2. Mai 2010)


Außerdem gab es Berichte über weitere taktische Vorgehen der Parteien.

Ob an angeblichen Plänen zum “Überlaufen” eines Linkenabgeordneten tatsächlich etwas dran ist, kann ich nicht beurteilen (ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich) – sie dürften sich aber spätestens jetzt erledigt haben. Parteichef Gabriel greift derweil weiterhin in die “autonome” Entscheidungsfindung der NRW-SPD ein (nebenbei: besonders bezeichnend, wie er “meinetwegen sozialistisch” benutzt, so richtig despektierlich, mit der Kneifzange, und dann meint, dass die SPD für das “Bürgertum” wieder anschlussfähig werden sollte – besser kann man eine Missachtung der sozialdemokratischen Tradition und Überzeugungen kaum darstellen).

Zudem mehren sich auffällig die Stimmen in den Medien, die betonen, dass eine (meist als einzige begrüßenswerte Möglichkeit dargestellte) Große Koalition auch nur unter einem CDU-Ministerpräsidenten möglich sei. Anderes sei mit dem Wahlausgang und “demokratischen Gepflogenheiten” nicht zu vereinbaren. Man will vollständig auf Nummer sicher gehen, dass die CDU-Politik in ihrem Kern fortgeführt wird. Die sogenannte “israelische Lösung”, bei der CDU und SPD je zwei Jahre die Ministerpräsidentin/ den Ministerpräsidenten stellen würden, wird kaum mehr diskutiert.

Zu dem vergifteten Gesprächsangebot der FDP an SPD und Grüne, unter der Bedingung, keine Gespräche mit der Linken zu führen (auf das aber auch in den Medienn nur wenige, wie das ZDF, angesprungen sind) kann ich mich Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten nur anschließen:

Wenn Grüne und SPD auf das Lockangebot der FDP eingingen, hätte Pinkwart (und Rüttgers) nach der Wahl erreicht, was sie vor der Wahl nicht geschafft haben, nämlich Hannelore Kraft eine mögliche Machtoption und damit eine starke Verhandlungsposition gegenüber allen im Landtag vertretenen Parteien aus der Hand zu schlagen.

Würden die Gremien der SPD – wie es die FDP verlangt – beschließen, keine Gespräche mit der Linkspartei zu führen, dann wäre Hannelore Kraft auf Gedeih und Verderb der FDP oder der CDU ausgeliefert. Sie hätte jede Verhandlungsmacht verloren, denn ein Zurück von einem solchen Beschluss der SPD gäbe es nicht mehr, ansonsten würde Hannelore Kraft fertig gemacht, wie ihre hessische Kollegin Andrea Ypsilanti.

Dann stellte entweder die CDU den Ministerpräsidenten oder die FDP bliebe in der Regierung und diese beiden Parteien könnten der SPD ihre Bedingungen diktieren und ihre politischen Positionen maximal durchsetzen.

Wieso wird eigentlich hier nicht das Wort “Wortbruch” gebraucht?

Mit ihrer Ankündigung, nun doch über eine Ampel-Koalition reden zu wollen, brechen die Liberalen einen Parteitagsbeschluss, den sie erst eine Woche vor der Landtagswahl gefasst hatten. Darin hieß es, die Liberalen sähen „keine Grundlagen für Koalitionsgespräche mit Parteien“, die sich Bündnisoptionen mit extremistischen Parteien offen hielten. Damit waren unmissverständlich SPD und Grüne gemeint. Einzig möglicher Koalitionspartner sei folglich die CDU.

Noch gestern hatten Pinkwart und sein Fraktionsvorsitzender Gerhard Papke Gespräche mit SPD und Grünen kategorisch abgelehnt. „Die FDP wird ihre Glaubwürdigkeit nicht für den reinen Machterhalt aufs Spiel setzen“, sagte Papke. Seit heute scheinen sie es mit der Glaubwürdigkeit anders zu sehen. (Welt.de)



Ich werde die Beobachtung der Kampagnen gegen Rot-Rot-Grün in der nächsten Zeit fortsetzen. Über entsprechende Hinweise bin ich weiterhin dankbar!

UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 1

Die erwartete Kampagne gegen eine rot-rot-grüne Regierung und für eine Große Koalition in Nordrhein-Westfalen ist bereits in einigen Medien angelaufen. Keine Frage, in den nächsten Tage, insbesondere, wenn SPD und Grüne Gespräche mit der Linken aufnehmen sollten, werden sich derartige Kommentare massiv häufen und verschärfen. Die bisherigen Kommentare zeichnen sich auf jeden Fall schon einmal nicht durch ein argumentativ hohes Niveau aus. Ein paar Beispiele:


SPD/CDU: NRW braucht eine Große Koalition (ZEIT ONLINE)

Wer eine Verstaatlichung der Energiekonzerne propagiert, wer für ein Recht auf Rausch wirbt und wer so viele Spinner und Extremisten in seinen Reihen hat, dass selbst Leute aus der eigenen Bundesführung vor dem jungen Landesverband warnen, der darf im wichtigsten Bundesland nicht an die Regierung kommen. Schon gar nicht in einer so schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage, inmitten der Finanz- und Euro-Krise, der längst noch nicht überwundenen Rezession und angesichts hoch verschuldeter Landes- und Kommunalhaushalte.

→ Wer keine Argumente hat, ergeht sich also in Beschimpfungen. Dieses “Recht auf Rausch” bedeutet die Forderung nach der Legalisierung weicher Drogen, ebenfalls etwa eine Forderung der Julis im Bund und in NRW. Aber die Aussage, dass man doch nicht mit Marktradikalen koalieren könnte, wird man in den Mainstream-Medien nie lesen.  Anzubringen, dass in so einer schweren Krise alle an der Heimatfront zusammenstehen müssen, war auch schon erwartbar gewesen.


NRW – der Tag nach der Wahl:  Macht es Hannelore Kraft mit den Linken? (Bild.de)

Die Linkspartei wird in NRW vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt wegen ihrer Nähe zu verfassungsfeindlichen Organisationen als extremistisch. Galionsfiguren wie NRW-Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann und die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht sind von Verstaatlichungs- und Enteignungsphantasien durchtrieben. (…)

KRAFTILANTI

Die Machtoptionen der Hannelore Kraft – Erinnerungen an Andrea Ypsilanti werden wach...

→ Die Springer-Presse natürlich, keine Frage, unterbietet alles. Was für (von Verstaatlichungsplänen) durchtriebene Stücke! Die gelten aber sowas von als extremistisch! Und natürlich der obligatorische Vergleich mit Ypsilanti (obwohl selbst die Springer-Redakteure bemerkt haben, dass Kraft eine Koalition mit der Linken gerade nicht ausgeschlossen hat. Naja, egal!)


Landtagswahl in NRW:   Kraft steht vor der Ypsilanti-Falle (Stern.de)

Das Ypsilanti-Problem
Ein rot-rot-grünes Bündnis ist für Kraft eigentlich unmöglich, will sie nicht in die Ypsilanti-Falle laufen. Kraft hat diese Option zwar nie kategorisch ausgeschlossen, aber gebetsmühlenhaft gesagt, die Linke in NRW sei nicht koalitions- und regierungsfähig. Das war ein de-facto-Ausschluss, den sie nicht ohne einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust wieder kippen kann. Zudem ist offen, ob die Linke selbst überhaupt regieren will: Ihre Kandidaten sind ausnahmslos unerfahren, sie könnten sich in der Staatskanzlei bis auf die Knochen blamieren.

→ Wenigstens differenzierter als BILD, aber mit dem selben Tenor. Und blamieren? Was stellt man sich da bitte in den Redaktionen vor? Dass die Linke im Landtag plötzlich die DDR-Hymne anstimmt? Dass ein Linken-Minister fordert, ein Denkmal für Walter Ulbricht? Oder vielleicht die Minitserpräsidentin ausversehen als “Frau Staatsratsvorsitzende” bezeichnet?


Analyse: Hessische Verhältnisse in Düsseldorf  (Tagesspiegel.de)

Doch auch in Hessen lag am Ende die CDU knapp vorne, und die gefühlte Wahlsiegerin Andrea Ypsilanti versuchte anschließend, eine rot-grüne und von der Linken tolerierte Minderheitsregierung zu bilden. Sie löste damit heftige bundesweite Debatten aus, sah sich mit dem Vorwurf des Wahlbetruges konfrontiert und scheiterte schließlich an dem Widerstand in den eigenen Reihen. (…)

Die Linke fordert nun einen “Politikwechsel” in NRW. Die Partei ist aber mit einem sehr fundamentalistischen Programm in den Landtagswahlkampf gezogen und hat in dem Land keinerlei realpolitische Erfahrung. Für die SPD wäre eine Zusammenarbeit mit der Linken ein Abenteuer.

→ Und wieder der Ypsilanti-Vergleich, langsam wird es langweilig. Aber hier sind die Linken immerhin nur “Fundamentalisten” (das muss ja nicht einmal was Schlechtes sein”) statt “Extremisten”. Aber: sammelt man Erfahrung nicht am besten durch Praxis?


Wird vermutlich fortgesetzt …


NACHTRAG:

Weissgarnix schreibt über den Kommentar der Zeit


UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 2

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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Zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen liegt derzeit (1:35 Uhr) immer noch sehr vieles im Unklaren. Es steht noch nicht fest, ob es für Rot-Grün reichen wird und auch nicht, ob die CDU oder die SPD nun die stärkste Partei ist. Fest steht nur: Schwarz-Gelb hat eine Niederlage erlitten. Politische Konsequenzen wurden bisher noch nicht gezogen. Bei Rüttgers ist dies aber wohl nur noch eine Frage der Zeit. Trotzdem (auch wenn das jetzt viele nicht gerne hören werden) wäre es natürlich zu wünschen, wenn Rüttgers in der CDU weiter eine Rolle spielen würde als Gegengewicht und einer der letzten Verbliebenen eines eher sozialeren Flügels. Dies wird aber wohl nicht der Fall sein. Auch manche Miniser aus seinem Kabinett, wie Karl-Josef Laumann oder Armin Laschet gehören, wenn man ehrlich ist, durchaus zu den besseren CDU-Politikern. Dennoch hat natürlich Rüttgers durch zahlreiche Skandale eine Hauptschuld an dem dramatischen Einbruch.

Bei der FDP sind vor allem recht aggressive Stimmen zu hören. Niederlagen einzugestehen passt nicht zu der neoliberalen “Ich bin der größte!”- Egoismus- Jeder-gegen-Jeden -Einzelkämpfer- Ideologie. Dennoch, und das ist das beste Ergebnis der Wahl: die FDP wird in NRW wohl kaum in einer Regierung vertreten sein, “Ampel” oder “Jamaika” sind so gut wie ausgeschlossen, und Schwarz-Gelb verliert die Mehrheit im Bundesrat. Hört man nun des Öfteren, Merkel hätte jetzt eine praktische Entschuldigung für einen eher behäbigen Regierungsstil, dann kann man dem entgegenhalten: um so besser. Besser, wenn solche Vorhaben wie die Kopfpauschale oder Steuersenkungen nicht durchkommen.

Die SPD hat im Vergleich zur letzten Landtagswahl nicht zugelegt, das stimmt, aber im Hinblick auf die letzten Wahlergebnisse der SPD und den politischen Stimmungstrend kann man es doch durchaus als eine Art Sieg bezeichnen (ob nun ganz knapp stärkste Partei oder ganz knapp zweitstärkste). Ganz klarer Gewinner sind natürlich die Grünen, und auch die Linke hat erstmals den Einzug ins Landesparlament geschafft.

Falls es für Rot-Grün nicht reichen sollte, besteht kein Zweifel, dass die nächsten Tage alle Kommentarspalten der Mainstream-Presse und noch mehr alle Sendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten überfluten werden mit Warnungen vor einer Koalition mit “den Extremisten”, Panikmache vor den “Kommunisten” und den “linken Chaoten”, vor Verstaatlichungen und einer Neuauflage der DDR. Wenn die Wunschkoalitionen Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün nicht möglich sind, werden sie für eine Große Koalition kämpfen – und v.a. mit allen Mitteln gegen Rot-Rot-Grün.

Der Staatsfunk musste natürlich schon am Wahlabend sofort Propaganda gegen Rot-Rot-Grün machen. Sollte es bei der “Elefantenrunde” im ZDF ja v.a. um die Wahlergebnisse gehen, geriet sie zu einer reinen Anti-Rot-Rot-Grün-Propaganda-Farce, nicht nur seitens Union und FDP, sondern auch von Seiten des Moderators  (war dieser selbsternannter “Terrorismusexperte” eigentlich  neutral genug, die “Elefantenrunde” zu moderieren? Ganz und gar nicht.) Und natürlich kommt keine Sendung ohne Lafontaine-Kritik aus. So durfte ein Hinweise auf eine Blockade-Haltung des damaligen SPD-Vorsitzenden, iih!, Lafontaine, nicht fehlen (dasselbe machte übrigens Tom Buhrow später bei den Tagesthemen), genauso wie Suggestivfragen oder Bezeichnungen wie “Chaotentruppe” und “nicht regierungsfähig” in Richtung Bartsch, der für die Linke anwesend war. In der Runde wie bei der ZDF-Berichterstattung wurde immer und immer wieder die Frage nach rot-rot-grünen Bündnissen gestellt und davor beständig gewarnt. Die Moderatoren wirkten auch insgesamt ziemlich betrübt – naja, kein Wunder. Und als Gäste waren Giovani di Loenzo und Helmut Markwort im Studio. Was für eine ausgewogene Kombination! Bei der nächsten Wahl dann als “Experten” im ZDF: Franz Josef Wagner und Henryk M. Broder. Bei ARD und WDR war es wenigstens etwas ausgewogener, auch wenn dort Warnungen vor den bösen und nicht regierungsfähigen Linken nicht fehlen durften.

Haben SPD und Grüne auch nur genau die erforderliche Mehrheit, wird es ganz sicher diese Koalition geben. Reicht es aber für Rot-Grün (und dann auch für Schwarz-Grün) nicht, ist Rot-Rot-Gün die einzige Chance für einen wirklichen Politikwechsel. Sicher, eine eher gemäßigte NRW-CDU und eine rechte NRW-SPD könnten sich wohl recht gut verstehen, die Politik würde sich wohl aber nicht sehr von der unter Schwarz-Gelb unterscheiden. Und stellt die CDU den Ministerpräsidenten und macht die SPD sich wiederum willentlich zum Juniorpartner der CDU, wäre das politisch schlecht und taktisch unklug. Etabliert man hingegen eine Koalition ohne CDU und FDP, kann man gegen die drohenden Maßnahmen der Bundesregierung eine viel effektivere, glaubwürdigere und öffentlichkeitswirksamere Gegenstrategie fahren. Die Linken in NRW sind gewiss nicht der Landesverband, mit denen eine Koalition am nächsten liegt, aber sie sind auch nicht die Radikalen, als die die Systemmedien sie darstellen wollen. SPD und Grüne könnten hier eine wirkliche Opposition gegen das bürgerliche Lager aufzubauen beginnen, die auch im Bund dringend notwendig ist.

UPDATE (2:38):

Das vorläufiges Ergebnis der Landeswahlleiterin ist da. Danach erhalten die CDU 67 Sitze, SPD 67, Grüne 23, FDP 13 Sitze, Linke. Weder Rot-Gün noch für Schwarz-Grün hat also die erforderliche Mehrheit (91 Sitze). Die CDU hat 6200 Stimmen mehr als die SPD.

Ich würde gerne an eine rot-rot-grüne Koalition glauben, doch ich halte es für höchst unwahrscheinlich. Die SPD wird sich ihrer “staatstragenden Verantwortung” bewusst werden, nicht mit “den Extremisten” zu koalieren. Die großen Herausforderungen erfordern es, dass jetzt “alle Demokraten zusammenstehen”. Die Regierung baucht Unterstützung und Zusammenarbeit! Und immerhin habe das der Wähler so gewollt! Die Bundesregierung wird die schlimmsten ihrer Vorhaben, die sie ohnehin nicht durchsetzen könnten, wie die Kopfpauschale, auf Eis legen, und das werden die Medien als Rechtfertigung heranziehen. Die Finanzmärkte werden nicht angetastet, vielleicht wird man eine etwas höhere Bankenabgabe einführen. Steinbrück wird 2013 Kanzlerkandidat und Vizekanzler einer Großen Koalition.

Ich hoffe, dass ich mich irre.

Links zum Thema:

Kommentar von Philip Grassmann (Der Freitag): Mut zur Alternative

F!XMBR: Nach der NRW-Wahl

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Zum Wahlausgang in Großbritannien

Die Wahl in Großbritannien ist also wie erwartet ausgegangen. Die Conservative Party errang zwar eine Mehrheit, diese ist aber nicht groß genug, um alleine die Regierung bilden zu können. Ob Labour oder Conservative Party, wer auch immer den Regierungschef stellen wird, wird nun auf die Unterstützung der Liberal Democrats angewiesen sein. Dies ist zu begrüßen – für Großbritannien und für Europa.

Die britischen Parteien

Dabei müssen wir beachten, dass das britische Parteiensystem kaum mit dem deutschen vergleichbar ist.

Die Labour Party etwa als Sozialdemokraten oder gar als Linke zu bezeichnen ist kaum zutreffend und höchstens irreführend. Seit Ende der 90er Jahre unter Tony Blair und den Konzepten von Anthony Giddens kann man Labour meiner Meinung nach nicht mehr als Sozialdemokraten bezeichnen. Von dem gemeinsamen Charakteristikum und der Tradition sozialdemokratischer und demokratisch-sozialistischer Parteien weltweit haben sie sich explizit verabschiedet, der Herstellung von sozialer Gerechtigkeit (Verteilungsgerechtigkeit) – sie wollen nur noch “Chancengerechtigkeit”. Umverteilung steht nicht mehr auf dem Programm. Die neoliberale Politik der Thatcher-Ära haben sie in der Grundtendenz fortgeführt, mit nur kleinen Verbesserungen. Umfangreiche Privatisierungen, tendenzieller Abbau der Sozialleistungen, keine starke Rolle des Staates in der Wirtschaft, Förderung des Finanzmarktkapitalismus. Einzig auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik (trotz all der Klischees über das britische Gesundheitswesen) und in der Bildungspolitik (auch wenn man dort nicht einmal so weit ging, die Studiengebühren abzuschaffen – das wäre wohl zuviel Chancengleichheit) gab es weitreichende Verbesserungen. Und unter Gordon Brown gab es durchaus eine leichte Wende nach links in der Sozialpolitik. Noch drastischer allerdings war die Politik von Labour auf dem gesellschaftspolitischen Feld – in Großbritannien haben sie den wohl technisch fortgeschrittensten Überwachungsstaat der Menschheitsgeschichte aufgebaut. Die Einschränkungen der Bürgerrechte und der Freiheiten sind kaum aufzählbar.

So kam es, dass die Conservative Party paradoxerweise fast schon als eine sogar etwas liberalere Alternative auf diesem Gebiet schien. Allerdings unterscheiden sich die Positionen der beiden Parteien dort nicht sehr stark. Und in der Wirtschafts- und Sozialpolitik würden die Tories durchaus einen großen Rückschritt hin in die Thatcher-Ära bedeuten, auch wenn dies Cameron immer wieder zu bestreiten versuchte. Die Pläne zur Wirtschaftspolitik, zur weiteren Einschränkung des Sozialstaats, zur Schulpolitik oder zum öffentlichen Dienst wären durchaus fatal. Zudem sind die meisten Mitglieder der Conservative Party in vielen Feldern nicht so fortgeschritten wie ihr Vorsitzender.

Die Liberal Democrats sind in der Tat eine Partei mit in vielen Fällen grundsätzlich anderen Positionen als Tories und Labour. Ich würde sie als klassisch liberale Partei bezeichnen, mit dem Schwerpunkt auf gesellschaftspolitischen Gebieten. Sie treten als einzige gegen den ausufernden Überwachungswahnsinn ein, waren als einzige gegen den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg. Wirtschaftspolitisch würde ich sie in der Nähe von Labour einordnen – also nicht marktradikal wie andere sich “liberal” nennende Parteien, aber auch nicht links. Dennoch traten auch nur sie für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ein.

Die Green Party hat zwar den Einzug ins Parlament geschafft – aber nur mit einer Stimme. Die anderen dort vertretenen kleineren Parteien sind vor allem solche mit regionalen bis hin zu nationalistischen Interessen.

Das britische Wahlsystem

Zudem fordern die Liberal Democrats eine Reformierung des britischen Wahlsystems, und die ist dringend geboten. Denn das Mehrheitswahlrecht führt nicht nur dazu, dass kleinere Parteien systematisch benachteiligt werden (nur die, die einen Wahlkreis gewinnen können, erhalten ja einen Parlamentssitz), es sorgt für eine extreme Verzerrung der Stimmen (z.B. diesmal: Liberal Democrats: 22,9% der Stimmen, 8,8% der Sitze. Es gibt aber noch viel drastischere Fälle).

Die Wahl hat nicht nur die Grenzen des Mehrheitswahlrechts aufgezeigt, sondern dieses als ein Wahlsystem ohne auch nur einen einzigen positiven Aspekt dastehen lassen. Als vermeintlich positiver Punkt der Mehrheitswahl wird eigentlich nur aufgeführt, dass dieses zu “stabilen Mehrheiten” für eine Regierungspartei führe – das ist jetzt nicht mehr der Fall. Wobei dieser Punkt für mich nie positiv war, da bei der Mehrheitswahl ja die Stimmenverteilung nicht der Sitzverteilung entspicht, nicht jede Stimme gleich viel zählt. Dies aber ist eine Grundforderung an eine demokratischen Wahl.

Welche Möglichkeiten bieten sich?

Welche Optionen stehen nun für eine Regierungsbildung offen und wie sind diese zu bewerten? Eine Neuwahl wäre ein Armutszeugnis. Auch wenn man sozusagen kaum Erfahrung mit Koalitionsregierungen hat, hat der Wähler so entschieden. Ob eine Neuwahl andere Ergebnisse bringen würde, wäre außerdem zweifelhaft. Eine Minderheitsregierung der Tories würde wohl kaum lange überleben.

Eine “Große Koalition” halte ich ebenfalls für schwer vorstellbar. Höchst wahrscheinlich werden die Liberal Democrats der entscheidende Faktor sein. Es wäre auf jeden Fall positiv zu bewerten, wenn diese in einer Regierung vertreten sind, vor allem, da die Bürgerrechte in Großbritannien endlich wieder auf das Niveau eines freiheitlichen Rechtsstaates gebracht werden müssen. Eine Einführung (oder wenigstens eine neue Entscheidung darüber) des Verhältniswahlrechtes wäre außerdem eine Bedingung der Liberal Democrats, ohne die eine Koalition mit ihnen schwer vorstellbar wäre. Als wahrscheinlichste Koalitionen gelten also (möglicherweise unter Einbeziehung anderer kleinerer Parteien – dies soll hier ausgelassen werden):

Conservative Party und Liberal Democrats: Für die Bürgerrechte wäre diese Koalition wohl wünschenswert. Hier wären die Konservativen wohl auch bereit, Zugeständnisse zu machen. Allerdings leidet Großbritannien neben der Unterdrückung der Rechte und Freiheiten auch immer noch unter den Folgen des Marktextremismus der letzten Tory-Ära. Das Sozialsystem, die öffentliche Daseinsfürsorge, das Gesundheitssystem dürfen keineswegs noch weiter eingeschränkt werden. Dies wäre aber unter den Konservativen zweifelsohne zu erwarten, schon im Wahlkampf wurden genug Sozialabbau-Maßnahmen angekündigt, und Cameron hat auch angekündigt, dass sich dort wenig Verhandlungsmöglichkeiten ergeben.

Labour und Liberal Democrats: Solle Labour in der Lage sein, mit den Liberal Democrats eine Koalition zustande zu bekommen, und würden sie umfangreiche Zugeständnisse an diese in gesellschaftspolitischen Feld machen, kann das für alle nur von Nutzen sein, und Labour könnte sich vielleicht eher wieder auf seine alten, durchaus ehrhaften Wurzeln besinnen. Auch auf wirtschafts- und sozialpolitischem Feld wären Verbesserungen im Vergleich zur Alleinregierung von Labour zu erwarten, insbesondere bei der Regulierung der Finanzmärkte. Bisher ist Großbritannien zusammen mit Deutschland bei dieser Frage ein hartnäckiger Blockierer und ein Hemmnis für welt- oder wenigstens europaweites Vorgehen. Auch in der EU würde eine eher sozialliberale britische Regierung vielleicht (eventuell zusammen mit der eher gemäßigt-konservativen französischen Regierung) eine Gegenmacht bilden können zum marktradikalen Hardliner-Vorpreschen der deutschen Regierung. Und auch bei der Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten ist die EU ja ganz vorne mit dabei, bisher unter einem großen Einfluss der britischen Regierung.

Sicher wäre dies insgesamt keine wirklich gute Regierungskonstellation, aber wohl die bestmögliche. Wir sollten also für Großbritannien und auch für Europa hoffen, dass nicht wieder eine liberale Partei zur Umfallerpartei und zum Mehrheitsbeschaffer für die Konservativen wird.

[Auch erschienen beim binsenbrenner.de.]

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Abwahnrecht

Stefan Niggemeier zeigt an ein paar Beispielen den ganzen Wahnsinn der Praxis von Abmahnungen in Deutschland, die dem Prinzip der Meinungsfreiheit oft völlig zuwider läuft.

Woher kommt der Gedanke, dass man Dinge, die einem nicht gefallen, mit der Hilfe von Anwälten und Gerichten aus der Welt schaffen lassen kann? Wenn das nicht mit Meinungsfreiheit gemeint ist: dass Leute frei finden und sagen können, an wen ich sie erinnere, egal wie ungerecht mir das erscheinen oder wie unvorteilhaft das für mich sein mag — was denn dann? (…)

Für erstaunlich viele Menschen, Gruppen und Unternehmen scheint es ganz normaler Bestandteil des Repertoires einer Auseinandersetzung zu sein, anderen ihre Äußerungen zu verbieten. Das ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches und kulturelles. (…)

Natürlich gibt es Fälle, in denen es legitim ist oder sogar notwendig sein kann, Veröffentlichungen verbieten zu lassen (und es haben nicht einmal alle dieser Fälle mit der „Bild”-Zeitung zu tun). Aber müsste das in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das letzte Mittel sein? Eine drastische Maßnahme für besonders drastische Fälle — anstatt ein Routinewerkzeug in jeder Auseinandersetzung? Es ist völlig das Bewusstsein dafür abhanden gekommen, was für ein einschneidender Schritt das ist: jemandem zu verbieten, etwas zu sagen.

Das deutsche Abmahnrecht ist längst zu einem wirkungsvollen Zensurmittel verkommen, durch das mächtige und v.a. finanzstarke Unternehmen oder Organisationen alle ihnen unliebsamen Meinungsäußerungen und auch wahre Tatsachenbehaupungen zu unterlassen quasi erpressen können, will man nicht einen jahrelangen und extrem teuren Rechtsweg auf sich nehmen, zudem mit äußerst ungewissem Ausgang. Denn die Rechtssprechung, v.a. die eines Gericht in einer deutschen Hansestadt landet, ist inzwischen berüchtigt. Abmahnunrecht wäre wohl ein passenderes Wort. Auch gerne dabei mit Abmahnungen: die Katholische Kirche. Und sie geht sogar noch weiter als viele andere, auch das hat Stefan Niggemeier jetzt erfahren. Will sie nach Jahrhunderten endlich wieder zum Vorreiter der Verdunklung der Wahreheit auftreten? Erfahrung hat sie ja. Und das Abmahnunrecht bietet ihr jetzt quasi alle Mittel dazu.

Die Diözese Regensburg hat nun auch mich abgemahnt. Sie geht also nicht mehr nur gegen Artikel über ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch eines Pfarrers vor elf Jahren vor. Sie geht auch gegen Artikel vor, die darüber berichten, wie sie gegen diese Artikel vorgeht. (…)

So umfassend ist also das Schweigen, das das Bistum Regenburg gerichtlich erzwingen will. Es geht ihr offenkundig nicht nur um eine (richtige oder falsche) Aufbereitung der Ereignisse von 1999. Es geht ihr offenkundig darum, das Thema insgesamt aus der Öffentlichkeit herauszuklagen.

Einzig das Bundesverfassungsgericht ist anscheinend regelmäßig die letzte Bastion der Vernunft im ausartenden Abm/wahnsinn. Und doch, wenn erst das BVerfG feststellen muss, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen “seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist”, wie weit ist es dann mit der tatsächlichen Praxis eines formalen Rechtsstaats gekommen? Wie kann daran überhaupt jemand zweifeln?

Auch CARTA beschäftigt sich in einer Artikelserie mit anderen Aspekten der deutschen Abmahnpraxis. Bisher erschienen: Abmahnrepublik Deutschland (I), der die Auswüchse der Abmahnungen anschaulich darstellt und für eine Allianz gegen die Pervertierung des Abmahnrechts plädiert, und Wie man aus Schülern Geschäftsleute macht. Teil II der Serie „Abmahnrepublik“, der zeigt, wie sich die Politik  bei der Gesetzgebung zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums von Lobbys und Klientelgruppen beeinflussen ließ und wie aus diesem Gesetz eine vollkommen widersinnige Rechtssprechung resultierte.

Und der rauskucker demonstriert, wohin die ausartende Abmahnpraxis und freiheitsfeindliche Rechtsprechung noch führen könnte. Zwar als Satire, aber leider wohl gar nicht mehr so unrealistisch:

Der Moppedclub “Hells Angels” ließ ein Verbot des Begriffs “Rockerbande” verfügen.
Osama Bin Laden setzte durch, daß seine Al Kaida nicht mehr als “Terrornetzwerk” und ihre Arbeit nicht mehr als “Terroranschläge” bezeichnet werden durften.
Die NPD ließ (in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der NSDAP) die Wörter “Holocaust”,”Shoah”, “Völkermord” und “Angriffskrieg” verbieten, ebenso alle Bezeichnungen für A. Hitler (wie z.B. “Diktator”), außer dem korrekten “Reichskanzler”, bzw. “Führer”.
Der Hamburger Zensurrichter Andreas Buske erreichte, daß der Ausdruck “Zensur” in allen Abwandlungen und Kombinationen nicht mehr verwendet werden durfte.

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Sensationelle Entwicklung oder simple Täuschung?

Die angeblichen Wunder um den Rückgang der Erwerbslosenzahlen in Deutschland im April 2010 sind relativ einfach zu entzaubern: es handelt sich um eine bloßen statistischen Trick. Statt durch eine Erholung ist der deutsche Arbeitsmarkt in Wirklichkeit durch mehr Prekarität gekennzeichnet.

Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt?

Die deutschen Medien jubeln, dass die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt sensationell sei. Eine Schlagzeile jagt die nächste. Staunen, Wunder, Euphorie. Alle scheinen völlig aus dem Häuschen zu sein. Und alles kam völlig überraschend! Ein unfassbar starker Rückgang der Arbeitslosigkeit wird verlautbart, die Wirtschaft kommt wieder in Schwung – und das haben wir alles nur unserer klugen und umsichtigen Regierung zu verdanken! Klingt ja erstmal ganz gut, könnte man denken. Macht die Regierung ja doch vielleicht mal was richtig. Doch wie sieht es wirklich aus?

178.000 Erwerbslose wurden diesen April weniger gezählt als im April 2009, so meldet man. Doch hinterfragt wird nicht. Wieso auch? Heißt das etwa nicht, 178.000 Erwerbslose weniger, fragt man sich jetzt zu Recht? Um die Pointe vorwegzunehmen: Nein, das heißt es nämlich nicht! Das Stichwort lautet: Schönrechnen. Dabei ist es hier noch einfacher als bei vielen anderen der üblichen Verdrehungnen und Verzerrungen, hinter den nackten Zahlen die tatsächliche Entwicklung zu erkennen. Eigentlich schon zu einfach, ist es doch nur ein wirklich ganz billiger Statistiktrick.

Ein simpler Rechentrick

Denn, tadaa!, alle Arbeitslosen, die bei privaten Arbeitsvermittlern gemeldet sind, zählt man 2010 einfach nicht mehr zu den Arbeitslosen! Laut Schätzungen sind dies etwa 200.000. Schauen wir noch mal auf den angeblichen Rükgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum vergangenen Jahr. Wie hoch soll der noch mal gewesen sein? Ach ja, 178.000. Und schon hat man statt tatsächlich mehr Arbeitslosen sogar offiziell weniger! Und der angeblich so überraschende “Rückgang” im Vergleich zum Vorjahr ist dann keineswegs mehr überraschend (und ja noch nicht einmal ein Rückgang). So einfach kann man sich Erfolge stricken, so einfach kann man von katastrophalen Entscheidungen in der Wirtschaftspoliik ablenken.

Wenn diese Tatsache in den meisten Berichterstattungen mal gar nicht erwähnt wird, weiß man schon, was man hinsichlich journalistischer Qualität von diesen zu halten hat. Offenbar freut man sich in vielen Redaktionen so sehr, endlich mal wieder etwas Positives über die Regierung schreiben zu können, dass man alle Einwände, auch wenn sie noch so offensichtlich sind, schnell unter den Teppich kehrt. Hat ja hoffentlich keiner bemerkt. Ok, wäre diese Maßnahme wenigstens irgendwie statistisch sinnvoll, meinetwegen (trotzdem hätte man es erwähnen müssen). Aber wieso soll denn bitte ein Arbeitsloser, der bei einer privaten Job-Agentur nach einem Arbeitsplatz sucht, weniger arbeitslos sein als jemand, der bei der Bundesagentur gemeldet ist? Nein, so eine Zählweise ist nur verschleiernd und gar kontraproduktiv, erschwert sie doch eine für politische Progamme notwendige umfassende Bestandsaufnahme des Arbeitsmarktes.

Eher Wandlung statt Zunahme der Arbeitsplätze

Natürlich, bleiben wir fair, gab es dennoch einen relativ großen Rückgang im Vergleich zum Vormonat. Worauf ist dieser nun zurückzuführen? Das Kurzarbeitergeld war im Prinzip richtig und hat viele Jobs gerettet, keine Frage (aber natürlich hätten gößere Konjunkturprogramme auch mehr bewirken und die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sich schneller erholen lassen). Aber: die Kurzarbeit, sowie die oft erfolgte Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen (s.u.), hat dazu geführt, dass zwar vielleicht nicht die Zahl der Beschäfigten, aber die Arbeitsleistung insgesamt (in Stunden) zurückgegangen is, auch das muss man betrachten. Und andere Faktoren, die zu den Arbeitslosenwerten im April beigetragen haben, wie saisonale und demographische, darf man auch nicht vernachlässigen.

Andere wichige Eckpunkte des Arbeitsmarktes, die die Bundesagentur bekanntgab, werden in der medialen Berichterstattung meist einfach verschwiegen: Die Zahl der Unterbeschäftigten blieb im vergangenen Jahr weitgehend konstant (4,6 Millionen). Die gemeldeten offenen Stellen sind nicht viel mehr geworden. Es gibt deutlich mehr Hartz-IV-Bezieher (6,7 Millionen), darunter auch viele “Aufstocker”, die nur Niedriglöhne verdienen. Im letzten Jahr gab es 300.000 Vollzeitstellen weniger und 200.000 Teilzeitsarbeitsstellen mehr. Die Zeitarbeit hat deutlich zugenommen. Insgesamt gab es deutlich mehr prekäre Beschäftigungsformen und nur wenig tatsächliches Wachstum der Arbeitsplätze. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse wurden durch prekäre ersetzt. Wahrlich kein Grund, in voreiligen Jubel auszubrechen.

[Quellen: Arbeitsmarkt: Wo das “deutsche Job-Wunder” herkommt (Frankfurter Rundschau), Arbeitsmarkt im April (NachDenkSeiten)]

Deutschland, Land der Niedriglöhne

Das Wachsen prekärer Arbeitsformen und die zunehmende Spaltung der deutschen Gesellschaft wird auch von ganz unerwarteter Seite bestätigt. Die Bertelsmann-Stiftung (!) stellt in einer neuen Studie (“Atypische Beschäftigung und Niedriglohnarbeit. Benchmarking Deutschland: Befristete und geringfügige Tätigkeiten, Zeitarbeit und Niedriglohnbeschäftigung”; Autoren: Werner Eichhorst, Paul Marx, Eric Thode; Zusammenfassungen: Taz, Bertelsmann, S. 5-7 der Studie) fest, dass in Deutschland zwischen 2000 und 2007 von 17 OECD-Ländern die Lohnungleichheit am meisten gewachsen ist. Untersucht wurden in der Studie die EU- und die OECD-Staaten. Auch im europäischen Vergleich gebe es in Deutschland eine “ausgeprägte Lohnspreizung”. Außerdem ist es hier sehr schwer, in jeweils höhere Lohngruppen aufzusteigen.

Niedriglöhne haben sich hierzulande sehr stark verbreitet. Betroffen sind vor allem Geringqualifizierte, Frauen, junge Arbeitnehmer und Ausländer sowie der Bau- und der Dienstleistungssektor. Der Niedriglohnanteil unter den beschäftigen Frauen ist sogar der zweithöchse unter allen Industrieländern (nach Südkorea, noch vor den USA). Der deutsche Niedriglohnsektor hat außerdem am meisten zugenommen und lag 2007 bei einer Größe von 17,5% der Beschäftigten. Ursachen sind eine abnehmende Tarifbindung, mehr “Aktivierungsbemühungen von Transferbeziehern” und eine Zunahme von Mini-Jobs, Teilzeitarbeit und Aufstockern.

Wachsende Prekarität

Ein weiteres Ergebnisse der Studie: atypische Beschäftigungsformen wie Leiharbeit (auch Zeitarbeit genannt), befristete Beschäftigung und Mini-Jobs haben in diesem Zeitraum deutlich zugenommen, oft auf Kosten regulärer Beschäftigung. Zeitarbeit wird dabei nicht primär genutzt, um den Beschäftigungsstand der Auftragslage anzupassen, sondern als eigenständige prekäre Beschäftigungsform (vor allem in der Industrie). Sie führt – ähnlich bei befriseter Beschäftigung – außerdem nicht zu mehr Übergängen in reguläre Beschäftigung. Und: die Bertelsmann-Stiftung  empfiehlt eine Angleichung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Zeitarbeit und regulärer Beschäftigung. Außerdem stellt sie fest, dass Minijobs zu niedrigeren Löhnen und mehr Belastung für die Sozialsysteme führen. Diese sowie andere Kombilohn-Modelle sollten nicht ausgeweitet werden. Der Kündigungsschutz solle bei unbefristeter wie bei befristeter Beschäftigung (und auch bei der Leiharbeit) von der Beschäftigungsdauer abhängig gemacht werden. Außerdem fordert sie eine Pflichtversicherung für Selbstständige und eine Verstärkung von qualifizierenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.

Diese Ergebnisse sind zwar nicht neu, auch ich habe auf Guardian of the Blind schon auf entsprechende Untersuchungsergebnisse (z.B. zur Lohnungleichheit und zur Leiharbeit oder zu Kombilöhnen) hingewiesen. Jedoch ist es auch, so wenig man die Bertelsmann-Stiftung mögen muss, gut zu sehen, dass mal nicht alle Neoliberalen vor den ökonomischen Tatsachen die Augen verschließen – und vor allem, dass sie diesmal sogar bereit sind, wenigstens teilweise die Konsequenzen zu ziehen und den Befunden entsprechnde Forderungen zu stellen. Würden unsere Politiker wenigstens ab und zu mal zu solchen Einsichten fähig sein, wäre schon viel geholfen. Mit einer anderen Interpretation könnte man sagen: Die Wandlungen in der deutschen Gesellschaft sind so groß, dass sie nicht mehr geleugnet werden können, auch nicht von den neoliberalen Vordenkern. Auch wenn sie oft zögern, das Wort Prekarität in den Mund zu nehmen, sondern lieber von Strukturwandel oder ähnlichem sprechen. Irgendwie muss man wohl doch noch versuchen, Schlechtes schönzureden.

Aufkommende Krise und deutsche Verantwortung

Wie dem auch sei, die Fakten sprechen für sich, und sie zeigen wenig Erfreuliches. Statt einer Zunahme von regulären, sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen wurden diese oft durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, durch Unsicherheit, schlechte Bezahlung und schlechtere Arbeitsbedingungen abgelöst. Die Kurzarbeit mag Schlimmeres verhindert haben, doch sie verschleiert auch teilweise das wahre Ausmaß der Wirtschaftskrise. Solche Tatsachen zu benennen wäre Aufgabe eines kritischen und sachgerechten Journalismus, und nicht das blinde Zujubeln zu Regierungsverlautbarungen. Doch das will man offenbar gar nicht, wie auch die Berichterstattung zu Griechenland zeigt.

Die aufkeimende Euro-Krise, für die Angela Merkel durch ihr verantwortungslose Handeln die Hauptverantwortliche ist, wird in Europa zu fatalen Folgen führen, und, das ist abzusehen, sie wird auch an der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Arbeitsmarkt nicht spurlos vorbeiziehen. Doch sei es drum, hat man ein paar Wähler in Nordrhein-Westfalen durch die von den Mainstream-Medien bejubelte “harte Haltung” zu Griechenland und die “sensationellen Erfolg am Arbeitsmarkt” (die ja, wie gezeigt, nur sehr wenig sensationell sind), gewonnen, dann ist ja das Ziel erreicht. Auch wenn solche möglichen Wahlerfolge aufgrund der drohenden Krisen relativ klein und unbedeutend erscheinen könnten. Doch auch große Lawinen werden von kleinen Erschütterungen ausgelöst.

Bilder:

Eigene Screenshots; Merkel: http://www.flickr.com/photos/30698512@N04/4414905694/ / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Dieser Artikel wurde auch beim binsenbrenner.de und beim Oeffinger Freidenker veröffentlicht.]

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Wenn sich Inkompetenz und Wahlkampfmanöver paaren

Der durch einseitige Ausrichtung auf Wahlkampfinteressen bestimmte und von hetzerischen Kampagnen der Boulevardpresse begleitete zögerliche Schlingerkurs der deutschen Bundesregierung in der Griechenlandfrage hat schon jetzt zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Schäden geführt. Die weiteren Folgen könnten noch verheerender sein.

Die Berichterstattung der deutschen Medien zur Griechenland-Krise ist von einer selbst für diese fast beispiellosen Inkompetenz geprägt, oft besteht sie nur im Nachplappern der von Wahlkampfmanövern bestimmten Positionen der Bundesregierung bis zu offener Hetze, Diffamierungen und niederste Beleidigungen seitens des Rechts-Boulevards. Positiv ragen in der Berichterstattung fast nur Onlineveröffentlichungen, etwa bei Weissgarnix (z.B. “Drohendes Desaster”), beim Herdentrieb (Zeit Online), auf Telepolis oder vom Spiegelfechter hervor.

Statemens von (ernstzunehmenden) Ökonomen sind in den Mainstream-Medien zudem selten zu finden. Aus gutem Grund, denn deren Analysen unterscheiden sich stark von dem populistischen Griechen-Bashing des Politik-Medien-Konglomerats. Heiner Flassbeck bezeichnet in einem Interview mit tagesschau.de das Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung zu Griechenland als katastrophal, u.a. da sie “dem Irrsinn, der im Moment an den Märkten herrscht, nicht Einhalt gebietet”, der “das Resultat von Zockerei und Panikmache” sei. Europa habe es leider versäumt, Maßnahmen zur Reform der Finanzmärkte wie die aktuell von Obama geplanten zu treffen. Finanzhilfen für Griechenland seien im Grunde richtig, aber in einer solchen Krise würden Sparmaßnahmen in Griechenland, die v.a. bei Löhnen und Sozialleistungen erfolgen, dessen wirtschaftliche und soziale Schieflage weiter verschärfen. Außerdem, so ein weiterer Punkt, solle die verzerrte Wettbewerbsfähigkeit in Europa aufhören: in Deutschland müssten höhere Löhne gezahlt werden.

tagesschau. de: Andere Stimmen sagen: Wir haben die Stabilitätskriterien eingehalten durch eine zurückhaltende Lohnpolitik und gut gewirtschaftet, und jetzt sollen wir für die einspringen, die das nicht getan haben. Ist das nicht ein berechtigter Einwand?

Flassbeck: Das ist vollkommen falsch. Man hat eine Währungsunion gemacht mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist eine implizite Verpflichtung, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben und hat damit sozusagen eine Deflationspolitik betrieben, ohne es den anderen zu sagen. So wurde Deutschland fast zum alleinigen Gewinner, während fast alle anderen darunter leiden. Das hat nichts mit Sparen zu tun: Das war und ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.

Nein, das hört man nicht gerne. Schulden und Inflation vermeiden, das ist dem Deutschen noch heiliger als sein Bier und sein Auto. Dass Deutschland zumindest eine Mitschuld an den europäischen Ungleichgewichten tragen könnte will man nicht einmal in Erwägung ziehen. Und dass die jahrelange Lohndumping-Ökonomie schädlich sein könnte, nein, dass ist ja alles nur sozialromantischer Linksextremismus! In Deutschland lässt man sich von allem, was gegen die neoliberale Ideologie spricht, egal wie gut belegt, egal wie sinnvoll es ist, schon lange keine Ratschläge geben. Flatter von Feynsinn schreibt:

Seit 30 Jahren wird gebetet, Konsum sei schädlich, niedrige Löhne gut und die jährliche Exportweltmeisterschaft pure Glückseligkeit. (…)

Kein Wort war es den gefragten “Experten” wert, wie volkswirtschaftlich – und zwar global – vernünftige Politik gestaltet werden könnte. Im Gegenteil wurde das Wohl und Wehe der Menschen dem “Standortwettbewerb” überantwortet, was nichts anderes heißt, als den manischen Egoismus eines einäugigen Betriebswirtschaftsdenkens der politischen Ökonomie überzustülpen. Werden in der kruden Konkurrenz der Betriebe und Konzerne die Verlierer vom Markt radiert oder ausgeweidet, ist das unschön, aber in Grenzen praktikabel. Dieses Prinzip aber als alternativloses den Staatswirtschaften zu verschreiben, ist ökonomischer Völkermord. Es sollte keine Volkswirtschaft existieren dürfen, die sich nicht den Regeln der profitorientierten freien Märkte unterwarf. Alternativen wurden mit aller Macht unterdrückt.

Die ökonomische Uneinsichtigkeit paart sich zudem mit parteipolitischen Interessen im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Wäre schnelle Handeln seitens der Bundesregierung erforderlich gewesen, gab es einen wochenlangen Schlingerkurs. Die Rettungsaktion für Griechenland nun dürfte als der unprofessionellste bailout aller Zeiten in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Angela Merkel hat durch ihr Wahlkampfgeschacher und -geplänkel nicht nur Griechenlands Krise verschlimmert und die Kosten in die Höhe getrieben, sondern könnte auch einen Flächenbrand in Europa ausgelöst haben, der bald auch Portugal und Spanien und dann Irland und Italien erfassen und die Eurozone in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.

Diese Regierung hat hier wie in wohl kaum einem anderen Feld gezeigt, dass sie keinerlei Verantwortung, Solidarität oder auch nur Einsicht besitzt. Für ein paar Wählerstimmen ist man bereit, Milliardenverluste in Kauf zu nehmen, ganze Ökonomien weiter zu destabilisieren und Zinssätze und Spekulationstätigkeiten anzuheizen. Die Kosten dafür wird die Bevölkerung in Europa tragen müssen, in den betroffenen Ländern und bei uns. Die Beteiligung des IWF an den Rettungsaktionen, auf denen Merkel so bestanden hat, wid noch größere soziale Schäden verursachen und mehr Armut schaffen. Und die Kosten für die Zukunft der europäischen Integration sind kaum absehbar. Aber immerhin kann sich jetzt der Stammtisch freuen, dass WIR es diesen faulen, streikenden, schuldenmachenden, nicht sparen wollenden, korrupten, lügenden, im Luxus prassenden Pleite-Griechen mal so richtig gezeigt haben!

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Wohin steuert Obama?

Die rechtskonservative “Tea-Party”-Bewegung will die USA vor dem Sozialismus retten, notfalls mit Gewalt. Sarah Palin heizt die Stimmung mit an. “Zieht Euch nicht zurück! Ladet nach!”, rief sie einer versammelten Party-Meute zu, nachdem Obama endlich eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung in den USA eingeführt hatte. Zudem kommt es in den USA immer mehr zu einer gefährlichen Vermischung von rechtsextremen Verschwörungstheoretikern und militanten Randgruppen mit dem republikanischen Mainstream. Man weiß dabei nie, wer gefährlich werden kann und den extremen Drohungen der Rechten vielleicht irgendwann entsprechende menschenverachtende Gewalttaten folgen lässt.

Am 15. Jahrestag des Oklahoma-Attentats, bei dem 168 Menschen durch einen Bombenanschlag einer rechtsextremen Miliz getötet worden waren, maschierten bei Washington schwer bewaffnete Männer auf. Ex-Präsident Bill Clintion warnte nach einer “überhitzten Rhetorik” mancher Wortführer der Tea-Party-Bewegung, dass sie damit Leute zu Taten anstiften könnten, “die sie sonst niemals begehen würden“. Auch die Mörder von Oklahoma City hätten sich von einer militanten Anti-Regierungs-Rhetorik anstecken lassen, und dies könne auch heute durch die Tea-Party-Bewegung wieder geschehen. Die Zahl von militanten und bewaffneten rechten, teilweise rassistischen, und christlichen Gruppen,  ist im letzten Jahr in der Tat sprunghaft gestiegen. Besonderen Aufschwung haben dabei die Patriot-Gruppen, zu denen auch der Drahtzieher der Oklahoma-Anschläge gehörte.

Die politische Rechte in den USA hat sich seit dem Wahlsieg Obamas noch mehr radikalisiert. Neben den Gruppen außerhalb der Parlamente wird auch die Republikanische Partei durch diese Bewegung weiter nach rechts gedrängt. Nicht eine Abkehr von der wenig ruhmhaften Bush-Ära, nein, eine Verteidigung von Krieg und Folter und eine vollständige Ablehnung sinnvoller sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Regierung kennzeichnen die Positionen der amerikanischen Rechten. Wenn man überhaupt von Positionen sprechen kann angesichts einer offensichtlich großen Verwirrtheit:

24 Prozent der Anhänger der Republikaner sagen, US-Präsident Obama könne der Antichrist sein, 22 Prozent meinen, er stehe auf der Seite der Terroristen, für 76 Prozent ist er Sozialist, für 57 Prozent Muslim, 51 Prozent meinen, er wolle die Souveränität der USA opfern und die Macht an eine Weltregierung geben. Zudem glauben die Republikaner mehrheitlich, er habe gegen die Verfassung verstoßen und wolle den Amerikanern ihre geliebten Waffen nehmen. 45 Prozent sagen, er sei nicht in den USA geboren und sei daher nicht rechtmäßig Präsident, für 42 Prozent ist er ein Rassist, 40 glauben, er mache, was die Wall Street ihm sagt, und 38 Prozent sagen, er mache viele Dinge, die auch Hitler gemacht hat. (Telepolis)

Einen Eindruck von dem oft von unbändigem Hasst und einer, man muss es so sagen, fast unfassbaren Dummheit geprägten Atmosphäre in diesem Lager kann man sich auch bei der Wochenzeitung machen, die ein paar Tea-Party-Aktivisten begleitet hat:

Sie jubeln, wenn der reaktionäre Radio­talkmaster von einer apokalyptischen Katastrophe spricht und dabei US-Präsident Barack Obamas Gesundheitsreform meint. Sie jubeln, wenn er von der «bewussten Zerstörung» der USA – des «schönsten und wichtigsten Landes der Erde» – durch «üble Hippies» und deren Abrüstungsverträge spricht. Sie sind begeistert, wenn er das Ende des «Marxismus, Leninismus und Stalinismus light» fordert. Ihre Schilder schimpfen auf Liberale, Friedensdemonstrantinnen, Faulenzer und Sozialisten, die ihrer Meinung nach zu Unrecht in Washington an der Macht sind und ihre Steuergelder ergaunern. (…)

Die traurige Ironie ist: Gerade sie, die Arbeiter in den befleckten Hosen, die Rentnerinnen in ihren billigen Regenjacken und die kleinen Angestellten, die zwei zusätzliche Jobs und tiefe Ringe unter den Augen haben, verloren unter dem konservativen letzten US-Präsidenten George Bush jegliche Chance, an der Gesellschaft teilzuhaben. Doch ihre Wut darüber bekommt nun die neue US-Regierung zu spüren. Der Protest ist ein Ventil ihrer Angst: Sie brüllen den vorsichtig fragenden Reporter nieder, keifen drohend auf die Frage, was denn schlimm an einer rudimentären Gesundheitsversorgung sei. Der Staat ist in ihren Augen zum Tyrannen geworden, gegen den sie Verfassung und Fahne in den Himmel strecken. (…)

Die Tea-Party-Bewegung, das wird hier hoch über den weiten Feldern Wis­consins klar, ist der fleischgewordene Unmut, den allerlei konservative Organisationen für sich zu nutzen wissen. Ihr kommt die Aufgabe zu, den bitterbösen Kampagnen von Fox News gegen Staat, Steuern und den Präsidenten Street Credibility zu verleihen – Glaubwürdigkeit auf der Strasse. Dazu gehören die bigotten Behauptungen der Demonstrant­Innen, Obama tue nicht viel anderes, als das, «was Hitler in Deutschland gemacht hat», oder die Ankündigung, mit dem Blut des liberalen Establishments den Baum der Freiheit giessen zu wollen.

Wie kann Obama, wie können die Demokraten versuchen, diesem Einhalt zu gebieten, und wie können sie am besten eine gute Politik durchsetzen? Ich glaube, dass es falsch ist, dass Obama bisher so viele Zugeständnisse an die Rechte gemacht hat. Mag es in Einzelfällen notwendig gewesen sein, um seine Reformen durchzubringen, stellt sich für mich die Lage bspw. bei der Frage von Verfolgung von US-amerikanischen Kriegsverbrechen und -verbrechern anders da. Hier und in vielen anderen Bereichen sollte er deulich konsequenter gemäß seiner Linie vorgehen. Sicher würde dies ein weiteres Auseinanderdriften von Demokraten und Republikanern bedeuten. Für Obama bestand von Anfang an die Alternative, entweder eine Politik zu verfolgen, die auf die Vereinigung der unterschiedlichen politischen Lager zielt, oder einen wirklich neuen Politikstil und neue Politikinhalte zu verfolgen. Beides zusammen war nie wirklich möglich.

Eine wirkliche Hoffnung kann es für die USA nur geben, wenn eine für amerikanische Verhältnisse “linke” Politik betrieben wird, wenn endlich Sozialstaat und Bildung statt Militär und Banken gefördert werden, wenn Schluss ist mit allen katastrophalen Vermächtnissen der Vorgänger-Regierung. In einigen Bereichen ist viel geschehen. Eine Eindämmung des Lobbyismus, einige ziemlich gute Konzepte zur Lösung der Finanzkrise (und zur Verhinderung einer neuen), nicht zuletzt die Gesundheitsreform, u.a. Aber in den Bereichen, in denen Obama auf die Republikaner zugehen wollte, zeigten sich wenig Erfolge, im Gegenteil, wie wir sehen gibt es sogar eine Radikalisierung dieser. Bei den eigenen Anhängern und besonders dem “linken” Flügel der Demokraten verliert er an Unterstützung (sowohl an Wählerstimmen, besonders wegen einer niedrigeren Wahlbeteiligung, als auch an Akionsbereitschaft), da viele Wahlversprechen durch die Kompromisstaktik nicht eingehalten werden konnten, durch die er aber kaum Unterstützer aus dem Republikaner-Lager erhalten dürfte (viele Wechselwähler dürfte er zudem vor der Wahl für sich gewonnen haben und nun zu verlieren drohen).

Nein, das Land ist zu sehr gespalten, um fundamentale Differenzen in der Gesellschafts- und Sozialpolitik aufheben zu können.  Die zehn Kernforderungen der Tea-Party-Bewegung etwa, zusammengefasst in einem Kriterienkaalog für Kandidaten, die sie beim Wahlkampf unterstützt, sind: niedrige Steuern, weniger Schulden, kleinerer Staat, Fortsetzung der Kriege im Irak und in Afghanistan bis zum Sieg, sie sind gegen die Gesundheitsreform, gegen die Legalisierung der Homosexuellenehe, gegen Abtreibung und gegen eine Amnestie für illegale Einwanderer sowie für das Recht auf Tragen von Waffen und für eine entschiedene Politik gegenüber Iran und Nordkorea. Bis auf die Fordeung nach weniger Schulden (und diese ist in Zeiten einer Wirtschaftskrise alles andere als primär) erscheinen alle Punkte aus einer linken oder liberalen (im US-amerikanischen Sinne) Sicht ablehnenswert.

Viele Ansichten werden kaum zusammenfinden können, und das muss man so zugestehen. Die Konfliktlinien in der US-amerikanischen Politik und Gesellschaft sind oft relativ klar zu ziehen und die unterschiedlichen Positionen nicht graduell, sondern dichotom, Zwischenlösungen sind oft kaum möglich. Abtreibung erlauben oder generell verbieten? Staatliche verpflichtende Gesundheitsvorsorge oder freiwillige private? Menschen foltern dürfen oder nicht? Finanzmärkte regulieren oder vollkommen unangetastet lassen? Wenn die Regierung etwa Abtreibung unter bestimmten Bedingungen zulassen würde oder geringe Eingriffe des Staates in Wirtschaft und Soziales, haben sie sofort eine Fundamentalopposition der Republikaner gegen sich. Die Weltbilder der Anhänger der beiden großen Lager sind in sehr vielen Feldern nahezu gegensätzlich.

Verwaschene Kompromisse, die keine der beiden Seiten repräsentieren, können dem Land aber nicht weiterhelfen. Die Rechten werden ohnehin weiter protestieren, und sie radikaliieren sich trotz der bisherigen Kompromisspolitik. Warum also Kompromisse schließen, zudem mit denen, die überaus verwirrte bis zu gefährliche Ansichten vertreten? Warum nicht konsequent für eigene gute Ideen und eigene Ideale einstehen? Obama sollte spätestens jetzt klar die Schritte und Programme durchziehen, die er im Wahlkampf angekündigt hatte. Es ist noch nicht zu spät. Sein Kampf um eine Reform des Finanzsektors jedenfalls lässt schon einmal Positives erhoffen.

Bilder:

http://www.flickr.com/photos/pargon/ / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

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