WikiLeaks und die Informationshoheit

Information ist Macht, gerade in der heutigen Welt. Und Macht ist, auch in der heutigen Welt, und auch in den scheinbar vollständig demokratisierten Gegenden, ist in der Macht kleiner Gruppen konzentriert. Wer nun, wie WikiLeaks, antritt, nicht einmal um diese Machtstrukturen aufzubrechen, sondern nur, um für etwas mehr Transparenz und Informationsfreiheit zu sorgen, bekommt die geballte Macht des Systems zu spüren, der Regierungen, der Wirtschaft und der Presse. Die Regierungen beugen das Recht bis aufs Gebrechen, die Wirtschaft versucht (ob nun auf Anweisung der USA oder autonom spielt hier nur eine untergeordnete Rolle), WikiLeaks ökonomisch auszutrocknen. Am fatalsten ist aber die Rolle der Medien, angesichts derer man verwundert ist und sich einige Fragen stellen muss:

Warum bricht nun ein solch verheerender Diffamierungs-Beleidigungs-“Internetterroristen”-Sturm gerade über die hinein, die journalistische Aufgaben tatsächlich erfüllen (oder zumindest erfüllen wollen), die wenigstens einen Ansatz von so etwas wie einer “vierten Gewalt darstellen könnten? Warum gehört aber jemand wie Hans Leyendecker, der in Deutschland als “investigativer Journalist” gilt, zu den lautesten Kritikern von WikiLeaks und wird auf einmal zum Anwalt staatlicher Geheimniskrämerei, von Hinterzimmerpolitik und Intransparenz? Ist es tatsächlich nur das gekränkte journalistische Selbstbewusstsein? Gerade aber die ebenfalls heftig kritisierte fehlende journalistische Aufbereitung der “Rohdaten” durch WikiLeaks steht diesem aber doch gerade entgegen: WikiLeaks gibt den Journalisten brisantes Material an die Hand, dass diese dann aufbereiten. WikiLeaks fungiert so als ein zusätzlicher Mittler zwischen direkten Informanten und Journalisten, der die Vorteile bietet, tatsächlich für eine Anonymität der Quellen sorgen zu können (natürlich nur insoweit, als das diese sich nicht selber fahrlässig enttarnen) und eine technische Infrastruktur bereitstellen zu können. (more…)

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Neoliberale wollen doch nur spielen

Von Marc Schanz

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Das liebste Kind der Neoliberalen ist ihre eigene Ideologie. Wer will ihnen das missgönnen? Schließlich ist eine Ideologie bequem, sie vereinfacht komplexe Zusammenhänge und erklärt obendrein dem Dümmsten die große, bunte, weite Welt in einfachen, schlichten Farben.

In Deutschland hat die Ideologie des Neoliberalismus einen Totalitätsanspruch erlangt, der verhängnisvoll an alte Zeiten erinnert. Nicht nur in der Domäne der Wirtschaft gelten seine Dogmen als alternativlos, auch sämtliche gesellschaftlichen Bereiche, wie die sozialen Sicherungsysteme, das Gesundheitswesen oder sogar unsere Freizeitaktivitäten, sind gänzlich von dieser Ideologie durchdrungen. Gier und Geiz müssen primär befriedigt werden, ob es auch sozial, gesund oder spaßig ist, wird zur Nebensache.

Die jetzige Regierung hat sich die das hehre Ziel gesetzt, die neoliberalen Reformpfosten in die noch verbliebenen hinterletzten Ecken der Gesellschaft zu rammen. Es ist daher mehr als überfällig, einmal darauf zu schauen, was diese marktradikalen Fanatiker mit ihrer Ideologie eigentlich erreichen wollen. (more…)

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Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts

Wenn er einmal etwas anderes hören wolle, als was 90% der Ökonomen in Deutschland erzählen, solle er Heiner Flassbeck einladen – dann könne man sich selbst ein Bild davon machen, wer Recht hat. So leitete Felix Hofmann vom AStA der Universität Trier einen Vortrag von Heiner Flassbeck zum Thema “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” ein. In einem prall gefüllten Hörsaal sprach dieser am Montag über die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert, über internationale Krisen der Wirtschaft und der Umwelt, und über Maßnahmen jenseits des neoliberalen Mainstreams in den deutschen Wirtschaftswissenschaften. Eine Aufzeichnung des Vortrages (MP3) ist hier zu finden.

Jahrhundert der Krisen

Flassbeck erläuterte zunächst, dass die Welt zurzeit mehrere ernste Krisen durchlaufe, so beispielsweise eine Umwelt-, eine Schulden-, eine Handels-, eine Arbeitsmarkt- und eine Finanzkrise. Die Finanzkrise habe eine der schlimmsten weltweiten Krisen überhaupt dargestellt. Dennoch, so merkte er an, habe es in Folge der Finanzkrise, anders als bei anderen vergleichbaren Ereignissen, nicht etwa Untersuchungskommissionen gegeben, und noch nicht einmal Diskussionen über die Ursachen oder etwa über die “Systemrelevanz“ von Banken. Vor zweit Jahren seien alle auf einmal Keynesianer gewesen. Heute wollen viele davon nicht mehr wissen und vertrauen wieder der neoliberalen Lehre.

Ein zentrales Thema des Vortrages waren die internationalen Finanzmärkte. Die meisten internationalen Rohstoffpreise sind nicht von realem Angebot und realer Nachfrage bestimmt, sondern “financialized”, werden auf Finanzmärkten bestimmt, und sind damit auch für Spekulationen anfällig. Die Spekulation auf Nahrungsmittel hatte im Jahr 2008 zu einer weltweiten Hungerkrise und zu Toten geführt. Anders, als es die Finanzinstitute ursprünglich vorhatten, als sie sich auf den Rohstoffmarkt ausbreiteten, diversifizierten sie nicht das Risiko, sondern potenzierten es im Gegenteil. Ob Rohstoffpreise, Devisen, Staatsanleihen, Aktien: Sie alle werden auf Finanzmärkten gehandelt – und sie alle folgen in ihrem Trend fast haargenau den gleichen Zyklen. Gibt es auf einem Markt eine Krise, geht die mit Krisen auf allen anderen einher, gibt es einen Aufschwung ebenso. Seit März 2009 geht es auf ihnen allen wieder bergauf – die Frage ist jedoch, wie lange, bis dass die nächste Spekulationsblase platzen wird. (more…)

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Heiner Flassbeck in Trier

Ein Veranstaltungshinweis:

Heiner Flassbeck kommt am Montag, den 15. November, zu einem Vortrag an die Universität Trier.  Dieser findet um 18 Uhr im Hörsaal 9 (E-Gebäude) statt  (Lagepläne gibt es hier). Er wird vom Referat für politische Bildung des AStA der Universität Trier veranstaltet.

Thema des Vortrags (mit anschließender Diskussion) soll “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” sein, in Anlehnung an sein neuestes Buch “Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts”.

(Bild: Wikimedia / CC-BY-SA 3.0)

Als kleiner Einstieg bzw. Vorgeschmack seien schon einmal dieser Beitrag auf den NachDenkSeiten, der wichtige Thesen des Buches zusammenfasst, diese Rezension sowie dieses Interview mit Flassbeck über Probleme der Weltwirtschaft und einige  seiner Lösungsansätze empfohlen.

Der keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck ist einer der herausragenden Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in Deutschland und eine der profiliertesten Stimmen gegen den neoliberalen Mainstream in der deutschen Ökonomie. Er war, leider nur für kurze Zeit, unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Finanzministerium. Zur Zeit ist er Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Auch hier im Blog wird oft auf seine Arbeiten und Argumentationen Bezug genommen und seine Homepage hat einen Stammplatz in der Linkliste.

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Die Integrationsdebatte als Ablenkungsmanöver

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In Deutschland haben wir viel weniger ein Integrations-, denn ein soziales Problem. Nicht Herkunft oder Religion, vielmehr ist die soziale Spaltung die Ursache der meisten gesellschaftlichen Missstände. Die derzeitige Integrationsdebatte ist in erster Linie eine reine Show, die von diesen realen Problemen ablenken soll. Auch die derzeit stark ins öffentliche Interesse geratenen Fehler der Bundesregierung stehen auf diese Weise nicht mehr im Mittelpunkt. Doch indem immer stärker Politiker aus bürgerlichen Parteien auf rechte Parolen setzen, werden ausländerfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung noch weiter gefördert – und sie sind schon jetzt erschreckend verbreitet. Dadurch könnten vielleicht auch Kräfte des rechten Randes einen Aufschwung erfahren.

Ein paar Fakten zu “deutschenfeindlicher Gewalt” und kriminellen Muslimen

Sind integrationsunwillige Ausländer, ist deutschenfeindliche Gewalt tatsächlich das dringendste Problem in Deutschland? Gerne, aber dabei unvollständig bis falsch zitiert wurde in den vergangenen Wochen eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Angeblich, so die mediale Darstellung, besage diese, dass zwischen Religiosität und Gewaltbereitschaft ein signifikanter Zusammenhang bestünde – eine falsche Darstellung. Auch eine deutlich genauere und wissenschaftlich sauberere Studie der EU stellt fest, dass zwischen Religiösität und Jugendgewalt kein Zusammenhang besteht. Eher verantworlich seien persönlich erfahrene Diskriminierung, gesellschaftliche Ausgrenzung sowie das engere persönliche Umfeld. Die KFN-Studie besagt außerdem, so Direktor Christian Pfeiffer, dass es keine generelle Deutschenfeindlichkeit gebe und dass die vermeintliche Deutschenfeindlichkeit vermutlich vor allem mit Enttäuschung über mangelnde Integration zu tun habe.

Die Bundesregierung aber gibt sich alle Mühe, Linksextremismus, Islamismus und “deutschenfeindliche Gewalt” durch muslimische Jugendliche als größte und konkreteste Bedrohung Deutschlands darzustellen. Dazu zunächst ein paar aktuelle Fakten: Die Bundesregierung, speziell Familienministerin Schröder, will nicht nur Opfer rechtsextremistischer, sondern auch linksextremistischer oder islamistischer Gewalt unterstützen und hat ihre Programme entsprechend ausgeweitet. Wie sieht es bisher aus? Nun, von Opfern rechtsextremer Straftaten liegen bisher 71 Anträge vor – von Opfern linksextremistischer oder islamistischer Gewalt kein Einziger. Dieselbe Kristina Schröder erzählt ja nun gerne an jeder Ecke, dass sie schon mal als “deutsche Schlampe” beschimpft worden sei. Was – laut Schröders eigenen Angaben – wirklich hinter dieser Geschichte steckt, kann man beim Politblogger lesen, der auch alles Nötige dazu sagt. (more…)

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20 Euro Anreiz

Mit den neuen Regelungen für Zuverdienstmöglichkeiten zu Hartz IV ist der Bundesregierung kein großer Wurf gelungen. Sie sind so ausgestaltet, dass sie weiter den Niedriglohnsektor fördern und kaum mehr Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung schaffen werden.

Das Kombi-Lohn-Modell ist schon an sich sehr problematisch. Es bedeutet eine staatliche Subvention von Niedriglöhnen. Neue Arbeitsplätze werden kaum geschaffen, vielmehr werden reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze durch staatlich unterstützte Beschäftigung durch Niedriglöhner ersetzt. Das Lohnniveau wird allgemein gesengt. Außerdem führt das Modell kaum zu einer Integration der Teilnehmenden in den normalen Arbeitsmarkt. Zuverdienstmöglichkeiten zusätzlich zum Arbeitslosengeld II sind im Grunde sinnvoll, bei der derzeitigen Ausgestaltung und den äußerst niedrigen Anrechnungsmöglichkeiten jedoch eher schädlich.

Daran nun wird aber durch die Neuregelung der schwarz-gelben Bundesregierung kaum etwas verbessert. Bis zu 100 Euro Hinzuverdienst wird man weiterhin komplett  behalten dürfen, von Bruttoeinkommen von 100 bis 800 Euro nur 20 %. Einzig von Einkommen von 800 bis 1000 Euro bleiben künftig 20 statt 10% in der Tasche des Arbeitenden; von 1000 bis 1200 weiterhin nur 10%. Im Höchstfall ergibt sich also ein Mehrbetrag von 20 Euro (10% vom Bruttoverdienst von 800 bis 1000 Euro, also von 1000-800= 200 Euro). Diese Regelung betrifft mit 300.000 Personen nur etwa 20% der Arbeitslosen, die neben Hartz IV einer Beschäftigung nachgehen. (more…)

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Stuttgart 21, Demokratie und Bürgerbeteiligung

Die Proteste gegen Stuttgart 21 offenbaren eine Schwäche des deutschen Demokratiemodells: das Fehlen partizipativer Elemente. Es wird Zeit, über unsere Demokratie zu sprechen.

Dass sich gerade bei Stuttgart 21 derart große Proteste, wie sie die letzten zeigten, zustande kamen, mag erstaunen, ist aber vielleicht auch nur ein Symptom wachsender Unzufriedenheit, mit den politischen Entscheidungen und stärker noch mit der Art ihres Zustandekommens. Durch das überaus gewaltsame Vorgehen der Polizei bei den Proteste wird es nun  ganz und gar offensichtlich, welch ein ein unhaltbarer Zustand einer Demokratie es ist, wenn die delegierten Entscheidungsträger weitgehend autonom von gesellschaftlicher Rückkopplung und Zustimmung handeln, und wenn sie dann ihre Entscheidungen dann auch mit Gewalt gegen das Volk durchbringen wollen – mit der Rechtfertigung, es sei ja alles formal korrekt zustande gekommen und müsse nun durchgesetzt werden.

Ob Atomkraft, Hartz IV, Kopfpauschale: Gerade die jetzige Regierung zeigt indes überdeutlich, dass sie aber auch überhaupt nicht gewillt ist, ihre Politik auf der Zustimmung oder auf dem Wohl der Bevölkerung basieren zu lassen. Möglicherweise könnten sich Proteste in Zukunft stärker auf die Straße verlagern angesichts der fehlenden direktdemokratischen und partizipativen Elemente in der bundesdeutschen Repräsentativdemokratie, die eine von deren deutlichsten Schwächen darstellt. (more…)

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Jugend 2010: Die opportunistische Generation Biedermeier

Sich über “die Jugend von heute” zu beschweren, ist seit je her sehr beliebt (sehr beliebt ist es aber auch, darauf mit einem falschen Sokrates-Zitat zu antworten). Die neue Shell-Jugend-Studie aber führt diesmal zu einer ganz anderen Situation: Von den Autoren wie auch in den deutschen Mainstream-Medien wird die heutige junge Generation nun fast schon überschwänglich gelobt.

Kein Wunder, schaut man sich einige Ergebnisse der Studie an. Kaum eine Generation erscheint für das neoliberale System passender als diese. Die “heutige Jugend” ist wie keine vorangegangene grenzenlos von sich selbst überzeugt, egomanisch und oppurtunistisch-pragmatisch eingestellt. Sie ergibt sich dem Konkurrenz- und Statusdenken, der “Leistungsorientierung”, den Werten und Erfordernissen des ungezügelten Kapitalismus. Eine Generation, die ohne jedes Zögern zwischen dem Job bei Greenpeace und dem bei Shell wechseln könnte – man kann ja auch online eine Petition gegen Atomkraft unterzeichnen, das reicht. Überzeugungen und Werte werden den Zwängen des System untergeordnet. Persönlicher Erfolg in der Leistungs- und Konsumgesellschaft ist für sie das Wichtigste. (more…)

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Einige Irrtümer über das antike Rom

Nachdem Stefan Sasse im vorigen Post ein paar populäre Irrtümer über das Mittelalter aufgeklärt hat, sollen auch einige falsche Ansichten über das antike Rom aufgegriffen und berichtigt werden. (Das Folgende ist eine eher lose und recht knappe Zusammenstellung, die eher zum eigenen Nachlesen anregen soll, als dass sie die Themen wirklich erschöpfend behandeln kann. Möglicherweise werde ich das eine oder andere Thema in einem eigenen Beitrag noch etwas ausführlicher behandeln.)


Lautes und leises Lesen

Im Lateinunterricht wird gelehrt, dass die Römer ausschließlich laut lasen. Eine duchaus belustigende und auch Vorstellung, scheint es. Selbst wenn jemand allein zu Hause sitzt und etwas liest, soll er es sich laut vorgelesen haben, etwas anderes habe man in Rom nicht gekannt (und gekonnt). Doch diese Vorstellung beruht  in Wahrheit lediglich auf  der falschen Interpretationen einiger Textstellen, vor allem einer bei Augustinus. In diesen wunderte er sich, das jemand leise las, was schwubs falsch gedeutet wurde. Man hätte sich nur den Zusammenhang anschauen müssen: In diesem erkennt man, dass dieser Betreffende leise für sich las, obwohl er eine Gruppe Schüler hätte unterichten und ihnen also Z.B. vorlesen sollte – was dann also auch heutzutage ein merkwürdiges Verhalten wäre.

Im antiken Rom war lautes Vorlesen sehr üblich, an vielen Stellen gab es Vorleser. Reichere Römer hatten nicht selten gebildete (oft griechische) Sklaven, die ihnen Texte vorlasen, das Hörbuch der Antike quasi. Jedoch konnten die Römer selbstverständlich für sich allein auch leise lesen, und dies war auch üblich, wie mehrere überlieferte Textstellen belegen. Für weitere Informationen siehe: Wen hörte Philippus? Leises Lesen und lautes Vorlesen in der Antike (pdf) (more…)

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Vier Irrtümer über das Mittelalter

Dieser Artikel von Stefan Sasse, der auch den Oeffinger Freidenker betreibt, ist im Original in seinem neuen Geschichtsblog erschienen. Er schreibt dort umfangreichere Beiträge über historische Themen aus Antike, Mittelalter, Neuzeit und  der Zeitgeschichte und klärt dabei auch öfter populäre Irrtümer auf. Es lohnt sich auf jeden Fall, dort mal vorbeizuschauen!


Schloss Auerbach

Das Mittelalter hat keinen besonders guten Ruf. Oftmals wird es sogar mit dem Prädikat “finster” versehen; assoziiert wird es gerne mit Schmutz, Armut und Rittern. Doch woher kommt das? Wer hat es überhaupt zum “Mittel”alter erklärt, also einer Periode, die zwei andere – vermeintlich bessere – verbindet? Geprägt wurde der Begriff von denen, die sich in Abgrenzung zu dieser Epoche in der so genannten “Neuzeit” wiederzufinden glaubten, also die antike-begeisterten Humanisten der Renaissance. In ihrer Verklärung ihrer eigenen Zeit, in deren aufstrebenden Handelsrepubliken sie vorher nicht gekannten Freiheitsduft zu atmen meinten, wollten sie sich von der als geistig eng empfundenen vorhergehenden Epoche des “Mittelalters” abheben. Dies ist ihnen gelungen; bis heute sehen wir eine lichte Neuzeit anbrechen, wenn wir an die Renaissance denken, die die Zeit enger Burgen und düsterer Klöster ablöst, in denen Bauern ausgebeutet im Schweiße ihres Angesichts auf den Äckern schufteten und Hexen auf Marktplätzen verbrannt wurden.

Im Folgenden sollen vier große Irrtümer über diese Epoche, die der Einfachheit halber weiter als “Mittelalter” bezeichnet werden soll, ausgeräumt werden. Der erste betrifft das schmutzige Mittelalter ungewaschener Menschen, die in ihrem eigenen Dreck dahinvegetieren und abergläubisch den resultierenden Krankheiten entgegensehen, während sie gleichzeitig in religiöser Furcht ein keusches Leben führen und Sexualität kaum ausüben. Der zweite betrifft die Annahme, dass das Leben als mittelalterlicher Bauer in praktisch ununterbrochener Arbeit für den Grundherrn bestanden und quasi keine Freuden gekannt habe. Der dritte Irrtum befasst sich mit der Idee, dass im Mittelalter Hexen verbrannt worden wären. Der vierte Irrtum schließlich besteht darin, zu glauben, die Kirche sei ein Hinderer des Fortschritts gewesen, die das Geistesleben des Mittelalters trübe gemacht habe.
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