Stuttgart 21, Demokratie und Bürgerbeteiligung

Die Proteste gegen Stuttgart 21 offenbaren eine Schwäche des deutschen Demokratiemodells: das Fehlen partizipativer Elemente. Es wird Zeit, über unsere Demokratie zu sprechen.

Dass sich gerade bei Stuttgart 21 derart große Proteste, wie sie die letzten zeigten, zustande kamen, mag erstaunen, ist aber vielleicht auch nur ein Symptom wachsender Unzufriedenheit, mit den politischen Entscheidungen und stärker noch mit der Art ihres Zustandekommens. Durch das überaus gewaltsame Vorgehen der Polizei bei den Proteste wird es nun  ganz und gar offensichtlich, welch ein ein unhaltbarer Zustand einer Demokratie es ist, wenn die delegierten Entscheidungsträger weitgehend autonom von gesellschaftlicher Rückkopplung und Zustimmung handeln, und wenn sie dann ihre Entscheidungen dann auch mit Gewalt gegen das Volk durchbringen wollen – mit der Rechtfertigung, es sei ja alles formal korrekt zustande gekommen und müsse nun durchgesetzt werden.

Ob Atomkraft, Hartz IV, Kopfpauschale: Gerade die jetzige Regierung zeigt indes überdeutlich, dass sie aber auch überhaupt nicht gewillt ist, ihre Politik auf der Zustimmung oder auf dem Wohl der Bevölkerung basieren zu lassen. Möglicherweise könnten sich Proteste in Zukunft stärker auf die Straße verlagern angesichts der fehlenden direktdemokratischen und partizipativen Elemente in der bundesdeutschen Repräsentativdemokratie, die eine von deren deutlichsten Schwächen darstellt.

Aus  Sicht der politischen Theorie könnte man sagen, dass man hier wieder erkennen kann, dass in einem liberalen Demokratiemodell (oder zumindest dessen versuchter Annäherung) eben immer wieder der Fall ist, dass sich mächtige Interessengruppen gegen die Bevölkerungsmehrheit durchsetzen.  Gleiche Chancen miteinander konkurrierender Interessengruppen werden nie herzustellen sein, und so kann auch eine kleine Gruppe die politischen Entscheidungsträger derart beeinflussen oder geradezu direkt beherrschen, dass die Mehrheit der Bürger ignoriert wird.

Unser politisches System reduziert sich seit langem auf die Herstellung von durchsetzbaren Entscheidungen, es vernachlässigt aber kommunikative, partizipatorische Elemente, wenn es sie nicht vollständig ignoriert. Dass dieser Staat und auch diese Gesellschaft Ideen wie zumindest die Suche nach einem Allgemeinwohl (Republikanismus) oder nach einem Kompromiss oder gar einem Konsens nach einer ausführlichen Diskurs in der Zivilgesellschaft (Habermas) schon lange fast vollständig aufgegeben hat, zeigt nun seine Folgen. Die Verteuflung jeglicher auch nur ansatzweise “Rousseuscher” Gedanken, und der Versuch, eine “Konkurrenzdemokratie” als einzig wahre Demokratie darstellt, ist vielleicht doch etwas zu kurz gegriffen. Und die Gedanken von Habermas und der deliberativen Demokratie sollten heute aktueller denn je sein.

Es spielt jetzt politisch keine große Rolle, ob Stuttgart 21 nun sinnvoll ist oder nicht, dass ist ein anderes Thema, dass einer eigenen Diskussion bedarf. Das Problem ist, dass eben diese Diskussion nicht in der öffentlichen Zivilgesellschaft stattgefunden hat. Stattdessen wurden von der Politik geradezu knebelnde Entscheidungen getroffen, die das Volk hinzunehmen hatte. Hätte man sich mit den Gegnern des Projekts zusammengesetzt, ernsthaft ihre Argumente angehört, die eigenen geschildert, wäre es sicher zu keinem Konsens gekommen – aber, selbst wenn es dann eine Pro-Entscheidung gegeben hätte, hätte diese eine sehr viel höhere demokratische Legitimation gehabt, und die Proteste wären sicherlich in einem sehr viel kleineren Rahmen geblieben.

Aber solch ein Verfahren ist in Deutschland nicht vorgesehen, also wird es gar nicht erst versucht. Das Entscheidungsverfahren soll allein in den Parlamenten beheimatet sein. Durch die ganz überwiegend rein repräsentative Ausrichtung unserer Demokratie ist ohnehin ein direkter Einfluss der Bevölkerung sehr schwer. Man begnügt sich als Legitimation für Entscheidungen auf ein formal richtiges Zustandekommen im parlamentarischen Prozess. Kommt es trotz in den meisten Bundesländern hoher Hürden  doch einmal zu Volksentscheiden, wurden diese mitunter sogar ignoriert. Andere Partizipationsmöglichkeiten gibt es kaum, außer einiger Modelle auf lokaler Ebene.

Doch die Argumente der Gegner von der Einführung von Formen und Elementen direkter Demokratie (und dies auch auf Bundesebene), wie die der fehlenden technischen Machbarkeit, werden heute immer mehr ad absurdum geführt. Gerade das Internet böte Möglichkeiten einer Partizipation der Gesellschaft, wie man sie sich so in der Vergangenheit kaum vorstellen konnte. Neue Formen der Einbindung der Bevölkerung in die politische Diskussion, aber auch neue Formen der Bürgerbeteiligung an der Entscheidungsfindung wären heute so realistisch und einfach durchsetzbar wie sie es nie zuvor in der Geschichte waren. Doch die politisch Verantwortlichen, vor allem die Parteien,  fürchten, dass alt hergebrachte Eliten-, Macht-, und Herrschaftsstrukturen und -institutionen durch eine immer größer werdende Bürgerbeteiligung aufgelöst werden könnten und möchten am liebsten bei einer rein repräsentativen Variante von Demokratie verbleiben – und diese, wie man gesehen hat, notfalls gewaltsam durchsetzen.

Es wird Zeit, über unsere Demokratie zu reden: Über Entscheidungsstrukturen, über den Einfluss von Lobbyisten, über Zivilgesellschaft und den öffentlichen Diskurs, über Modelle der Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie. Ansonsten werden solche Bilder wie in Stuttgart zukünftig vielleicht noch öfter zu sehen sein.

Es mag vielleicht zynisch klingen, aber vielleicht hat das gewaltsame Vorgehen der Staatsmacht gegen friedliche Demonstranten, Rentner, Jugendliche und Kinder, dabei auch etwas Gutes. Vielleicht versteht die bürgerliche Mitte jetzt etwas besser, was Polizeigewalt bedeutet, kann besser nachvollziehen, wie es ist, wenn die Polizei auf diese Art sonst auf Demonstrationen gegen Nazis, gegen Krieg, von Globalisierungskritikern oder Umweltschützern vorgeht. Vielleicht erkennen sie nun etwas mehr vom wahren Charakter dieses Staates.

Ob durch die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 aber auch tatsächlich so etwas wie eine neue Protestkultur oder eine zivilgesellschaftliche Demokratisierungsbewegung erwachsen kann, bleibt aber wohl erst einmal abzuwarten. Zu begrüßen wäre es.

Zum Thema:

Ohnmacht, Wut und repräsentative Demokratie (Felix Neumann)

Der Bahnhof des himmlischen Friedens (Spiegelfechter)

Proteste gegen Suttgart 21 Demo, Demos, Demokratie (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung)

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14 thoughts on “Stuttgart 21, Demokratie und Bürgerbeteiligung

  1. Den “Rousseuschen Gedanken” spendiere ich ein a, weiß aber trotzdem jetzt nicht, welche Du damit meinst. Welche meinst Du?
    (Überhaupt könntest Du noch ein paar Schreibfehler und unnötige Füllwörter beseitigen.)

    Inhaltlich: daß dies zur eigentlichen Frage geworden ist, haben ja auf den Demos auch schon Viele bemerkt. Inwiefern ist das hier überhaupt eine Demokratie?
    Ich finde nicht, daß der vorletzte Absatz zynisch klingt. Ich glaube, daß am Donnerstagabend der Stein gekippt ist. Die 30 Bäume waren ein sehr schmerzhaftes Opfer, aber es ist jetzt ziemlich klar, daß S21 nie gebaut werden wird. Wer (mit Wasserwerfern und Pfefferspray) aufs Volk schießen läßt, hat schon verloren.

    Wenn ich darf, möchte ich auch hier mal auf meinen Vorschlag für eine Kampagne hinweisen, mit der wir die Bahnzerstörer an ihrem empfindlichen Punkt treffen würden :

    http://rauskucker.wordpress.com/2010/09/28/ein-vorschlag-wie-man-s21-besiegen-kann/

  2. Ich meine die Demokratiekonzepte von Jean-Jaques Rousseau. In der politischen Theorie gelten heute für viele seine Schriften nur noch als angebliche Legitimation totalitärer politischer Systeme, dabei sind einige Grundgedanken von ihm vielleicht im Detail problematisch, aber dennoch urdemokratisch und vielleicht mal einer Überlegung wert, z.B., dass die Politik dem Gemeinwohl verpflichtet sein soll und dieses mittels des Volunté générale herauszufinden versucht werden soll.

    Schreibfehler hab ich keine entdeckt. Und jedes Füllwort ist absolut notwendig!!!1

    Ich glaube schon, dass Stuttgart 21 weitergehen wird, eben weil die Politik ihr Versagen nicht eingestehen will.

  3. Also Markus, diese Bürgerbeteiligungsdiskussion ist ja nun nicht neu. Fakt ist mehr Volksentscheide, bzw. Entscheidungen entsprechend dem Volunté générale bergen auch Risiken. Vergessen wir nicht, dass die Minaretteentscheidung in der Schweiz auch Ergebnis eines Volksentscheides war.
    Wir müssen uns genau überlegen, ob wir die Gefahr eingehen wollen mit einer zunehmenden Anzahl von Volksentscheiden u.ä. auch Tür und Tor für, auf reinem Populismus basierenden, Entscheidungen zu öffnen. Ich will damit nicht sagen, dass es so kommen muss, aber die Gefahr besteht zumindest. Und ich weiß nicht, ob ich bei Themen wie Kopftuchverbot, Asylrecht, Homoehe und anderen wirklich Volksentscheide will.

  4. 1. Jeder muss befragt werden zu Entscheidungen.
    Da aber nicht jeder Mensch in der Lage ist sein Statement sachgerecht abzugeben gibt es die Grundsätze des “Wer keine Ahnung hat: Ruhig sein” und natürlich eine gesellschaftlich begründete Altersgrenze für Partizipation. -> Verweis auf Liquid Democracy
    2. Es muss vieles neu durchgearbeitet werden
    Auf jeder Ebene unseres Staates muss im Grunde angepackt werden. In den politischen Mikrokosmen ist alles etwas leichter, weil weniger Hürden im Weg stehen. In einer kleinen “Polis” kann sich eben die an diesem Ort lebende Bevölkerung zu Wort melden und einmischen.
    Immer schwieriger wird es diese im Kleinen generierten Wegentscheidungen zu koordinieren. Sicherlich muss man da auch viel über Zuständigkeiten regeln, damit nicht über anderer Leute Kopf entschieden wird, ohne sie zu Wort kommen zu lassen.
    3. Es ist eine ewige Balance zwischen dem, was die Menschen wollen und ablehnen und dem, was für ein gesellschaftliches Ziel durch Wissenschaft und Vernunft gefunder Weg eingeschlagen wird.
    4. Ein spezizieller Punkt:
    Man müsste bei einer “Redemokratisierung” darauf achten, dass sich Entscheidungsträger nicht selbst entmachten können und wichtige Verantwortung aus Bequemlichkeit abtreten. Wer “nur” Partizipant ist, der kann ehrlich sein und aus Uninformiertheit seine Entscheidungsmacht abtreten. Aber es darf nicht im System möglich sein, dass sich ein Parlament selbst beschränkt (-> Verweis Ermächtigungsgesetz, Schuldenbremse)
    5. Neues Staatsorgan
    Wie sich mehr und mehr abzeichnet, brauchen wir wohl zum allerletzten Schutz gegen Gesetze, welche gegen Grundgesetz / Verfassung verstoßen eine Art Wächterrat. Sowas wie eine Ethikkommission und Verfassungsweisen in einem. Das Verfassungsgericht gibt es weiterhin und befasst sich mit der Judikative. Das neue Organ aber wehrt bereits feindliche Gesetze und Regelungen ab, die aus den korrumpierten Parlamenten kommen und es ist dem Bundespräsidenten vorgeschaltet.
    Gericht = gewährt Recht auf Verfassungsklage bei der Verletzung von Grund- und Verfassungsrechten für jeden Bürger.
    Man kann sich das vllt als “Schwert und Schild”-Metapher vorstellen. Abwehr hier und Richterspruch dort.

    Fürs erste belasse ich es bei 5 Dingen, die ich dazu-kommentieren möchte.

  5. Wann wurde Stuttgart 21 demokratisch legitimiert?
    Als Pro Bahn Mitglied kenne ich die fundierte Kritik an Stuttgart 21 seit Jahren. Als verkehrspolitischer Sprecher der ÖDP Oberberg und als Bundestagskandidat wende ich mich seit Jahren gegen Stuttgart 21 und die damit verbundene Arroganz der Macht! In der Schweiz hätte sich kein Politiker getraut, sowas wie Stuttgart 21 den Bürgern vorzulegen, weil die wirklich in einer Demokratie leben!

    Wo ist die Widerlegung zu den Aussagen vieler Verkehrsexperten, dass
    –S 21 die Kapazitäten der Schiene im Vgl. zum modernisierten Kopfbahnhof reduziert
    –der Zulauf zu S 21 viel störanfälliger ist, als der zum Kopfbahnhof
    –auf 8 Gleisen nicht so viele Züge gleichzeitig stehen können, wie auf 16!
    –Verspätungen im Durchgangsbahnhof nicht mehr abgewartet werden können!
    –die Engpässe der Bahn an ganz anderen Stellen drücken
    –Zuverlässigkeit und und Berechenbarkeit der Bahn wichtiger sind, als Höchsttempo auf wenigen Strecken

    Wo sind Fakten für Stuttgart 21! das meiste, was ich lese sind nur Wunschtäume und Emotionen! Auch damit kann man Mehrheiten gewinnen! Aber dann wird der Sturz in die Realität um so schwerer sein!

    Noch kann für Stuttgart alles gerettet werden! Denn gerade im Bahnbereich sollte es immer dies hier geben: Die Notbremse!
    http://www.fair-news.de/news-156343.html

    Aktuelles von mir: http://twitter.com/FJStaratschek

  6. @ Tobias:
    Klar gibt’s die Diskussion schon länger, aber der öffentliche Unmut über war wohl schon lange nicht mehr so groß. Und auch die Probleme bei Rousseau und Konsorten sind ja auch alle bekannt und vieldiskutiert. Will man in einem Land, in dem dieses unsägliche Hetz- und Hassblatt des Springerkonzerns die meistgelesene Zeitung ist, z.B. eine Abstimmung über die Todesstrafe? Sicher nicht. Ich glaube aber, wenn wir mehr direktdemokratische Elemente einführen würden, könnte das auch eine Auswirkung auf die politische Kultur haben, die nicht negativ sein muss (das “Dann gibt es nur noch Populisten”-Argument). Sicher, das Minaretteverbot. Aber hat das Schweizer Modell anosnsten nicht jahrhudnertelang funktioniert? Und funktionieren nicht auch in Deutschland die bisher existierenden Bürgerbeteiiligungsmodelle auf lokaler Ebene recht gut? Warum kann man nicht versuchen, diese (auf größere Regionen und mehr Themenbereiche) auszuweiten? Und wieso verweigert sich die Parteipolitik dem Dialog mit den Bürgern und reduziert ihre Rolle in der öffentlichen Diskussion auf Propaganda und verweigert sich jeder Deliberation?

  7. @ m4rc:

    Es ist eine ewige Balance zwischen dem, was die Menschen wollen und ablehnen und dem, was für ein gesellschaftliches Ziel durch Wissenschaft und Vernunft gefunder Weg eingeschlagen wird.

    Wieso muss es da zwingend auf ewig eine Trennung geben?

    Man müsste bei einer “Redemokratisierung” darauf achten, dass sich Entscheidungsträger nicht selbst entmachten können und wichtige Verantwortung aus Bequemlichkeit abtreten. Wer “nur” Partizipant ist, der kann ehrlich sein und aus Uninformiertheit seine Entscheidungsmacht abtreten. Aber es darf nicht im System möglich sein, dass sich ein Parlament selbst beschränkt (-> Verweis Ermächtigungsgesetz, Schuldenbremse)

    Naja, ich glaube gerade das, dass ein Macht- und Karrierepolitiker (denn wer sitzt sonst in unseren Parlamenten) freiwillig auf Macht verzichtet, dürfte das geringste Problem sein. Die genannten Fälle sind doch eher anders zu erklären: Die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz erfolgte doch eher teilweise aus grundsätzlicher Ablehnung der Demokratie, teilweise aus Feigheit und Opportunismus der bürgerlichen Parteien. Und die Schuldenbremse ist ein Mittel, eine bestimmte wirtschaftspolitische Konzeption (neoliberale Angebotstheorie) auf alle Zeiten als bindend festzuschreiben, also die Macht der eigenen neoliberalen Ideologie auszudehnen auch auf künftige Regierungen, die das vielleicht anders machen würden.

    Zum Punkt 5: Wie soll diese Kommission legitimiert werden? In einem demokratischen System ist das für mich nur durch Wahlen denkbar. Und was würde verhindern, dass diese Kommission nicht auch nach kurzer Zeit so handelt wie die Parlamente, die ja eigentlich diese Aufgabe schon haben, dass es nicht auch korrumpiert wird?

  8. @ Felix Staratschek:

    Wann wurde Stuttgart 21 demokratisch legitimiert?

    Naja, den parlamentarischen Weg hat es korrekt durchlaufen. Ob das aufgrund der offensichtlich schwachen Argumente für das Projekt war oder aus anderen Gründen und wie sinnvoll Stuttgart 21 ist, ist wie gesagt ein anderes Thema 😉

  9. Demokratie wird also gerne als formal-politisches Verfahren verstanden?
    Wenn die Regierung wechselt, dann nimmt sie sich das Recht heraus, Dinge zu ändern. Sicherlich wählen die Menschen daher auch eine neue Regierung.
    Wenn eine Regierung bestätigt wird durch Wiederwahl, dann nimmt sie sich das Recht heraus, weiter so zu machen wie in der vorherigen Legislatur.
    Nun fehlt aber ein Element, mit dem man schlechte Entscheidungen noch währen einer Legislatur revidiert bzw. korrigiert.
    Ich habe irgendwo mal gelesen / gehört, dass es im Ausland als typisch deutsch empfunden würde, dass man hierzulande einen ausgeloteten und eingeschlagenen Pfad nicht verlässt, bis man am Ende in den Graben fällt.
    Es wurde sich ja bei S21 darum bemüht, das Projekt möglichst gut durch die Gremien/Parlamente zu bekommen. Anscheinend hat man zu diesem Zwecke Informationen unterdrückt und die Veröffentlichung gesteuert.
    Nun ist es formal, juristisch, verwaltungstechnisch (und damit in engsten Sinn “demokratisch” – also “repräsentativ”) beschlossene Sache. Die Menschen außerhalb des Entscheidungsnetzes sind nun aber informierter als zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung und wähnen sich betrogen. Weil das aber niemanden mit Macht interessiert, können die Verwantwortlichen lediglich abgewählt werden. Doch mangels alternativen Nachfolgern (Linke, Grüne und Piraten regieren in BW?) wird man damit wohl nicht S21 revidieren können.
    Zumal wir nur vermuten können, wie zb die CDU im Wahlkampf versucht die Köpfe zu benebeln, damit S21 vergessen wird. Wahlweise schmiert die CDU ab und die SPD kann sich einen Juniorpartner suchen. Oder aber es geht niemand mehr wählen, wodurch sicherlich nichts besser wird.

    “Wieso muss es da zwingend auf ewig eine Trennung geben?”
    Point taken. Ich denke nicht an eine Trennung (ein “entweder oder”), sondern daran, dass es eben Projekte gibt, die irgendwo wirklich sinnvoll sind. Aber es gibt eben in unserer Zeit vermehrt Projekte, die eben sinnlos sind. Und wenn man Lösungen sucht für Probleme wie S21, dann finde ich muss man auch dabei beachten, dass es mal anders herum kommen kann. Dass zb durch Meinungsmache die Menschen etwas ablehnen, was ihnen eigentlich eine Verbesserung bringt.

    Und das mit der Schuldenbremse stimmt, wie du es sagst. Im Grunde sind die(tm) ja davon überzeugt, dass sie möglichst wenig zu entscheiden haben, außer eben dass sie ihre Kompetenze abgeben. Das entspricht ja der Theorie, dass der Staat per sé nur Fehler macht (in der Wirtschaft) und daher private Gruppierungen viel besser wissen, was gut ist für sich. Man will also den selbstsüchtigen privaten Subjekten nichts diktieren und minimiert daher die Schlagkraft des Staates.

    Diese Kommission müsste erst einmal vom Volk legitimiert sein und dann aber auch unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Interessen handeln. So müsste also die Bevölkerung Entscheidungsmächtige Deligierte einsetzen. Klingt zunächst einmal wie ein Zirkelschluss, da damit ja die Idee des Parlaments, der Volks- und Nationalkammern begründet wurde.
    Also könnte man auf so ein neues Organ im Staat verzichten, wenn man “nur” es schafft, dass die Abgeordneten im Sinne derer handeln, die sie dort auf den Stuhl setzen? – Entweder mehr Ehrlichkeit und man teilt jedem mit: “Abgeordneter Hans Müller ist Abgeordneter und Repräsentant der Arbeitgeberverbände und vertritt deren Interessen” und/oder man legt enge Kriterien fest, nach denen ein Mensch Repräsentant werden darf.

  10. @ 9 m4rc:

    “Das entspricht ja der Theorie, dass der Staat per sé nur Fehler macht (in der Wirtschaft) und daher private Gruppierungen viel besser wissen, was gut ist für sich. Man will also den selbstsüchtigen privaten Subjekten nichts diktieren und minimiert daher die Schlagkraft des Staates.

    Genau. Und aufgrund der Verbindungen zwischen Privatwirtschaft und diesen Politikern können sie sich dazu meist sicher sein, dafür auch noch persönlich belohnt zu werden.

    Zu der Kommission: Aber wieso ginge dies nicht auch, wenn man z.B. für den Bundestag zur Vorgabe macht, alle Nebentätigkeiten usw. offenzulegen? Oder, noch besser, sie einzuschränken. Und wer soll diese Kriterien festlegen? Bruacht man dazu nicht noch eine eigene, irgendwie legitimierte Stelle? Ich finde, in einer Demokratie sollte eben allein das Kriterium sein, dass man gewählt wurde – alles andere artet wieder in neue Voherrschaften aus.

  11. Okay ja. Einverstanden.
    Doch vorher muss man erstmal eine Komission einberufen aus Linguisten, Philosophen (nein, nicht Sloterdeijkschen Formats; meine hier echte Philosophen), Alt-Philologen, Staats- und Verfassungsrechtlern. Mit dem Ziel, dass man “Demokratie” definiert, damit man danach auch weiß was man mit “Demokratie” wirklich will. Somit könnte man sagen “nach heutigen Erkenntnissen zeichnet eine allumfassende Demokratie aus, dass…..”.

    Richtig, in einer Demokratie ist das Kriterium die Repräsentanz durch Wahlen. Aber ist nicht genausowichtig, dass man als Wähler auch Kontrolle hat über seinen gewählten? Schließlich wünschen wir uns doch, dass man nicht etwas abgibt (seine Stimme abtreten), sondern dass man einen persönlichen/gemeinschaftlichen Beauftragten in ein Parlament schickt. Der ist einem 100%ige Rechenschaft pflichtig. (Eigentlich brauch nur mein Beauftragter mir alles erzählen, berichten, was er tut, weiß und plant;aber da Menschen reden, wird das darauf hinauslaufen, dass man alles über jeden Beauftragten wissen könnte)

    Ein treffend formuliertes Zitat noch aus der heutigen taz(online):
    “Moderne Demokratie, Bürgerbeteiligung, Zivilgesellschaft? Weg damit. Schwarz-Gelb ist in Berlin noch für drei Jahre gewählt. Deshalb muss nun alles in den kommenden Monaten durchgezogen werden, sei es die Laufzeitverlängerung für AKW, Sparen bei den Arbeitslosen, Belohnungen für die Banker. Bis zur Wahl wird man dann vielleicht noch eine rettende Idee haben, um sich Stimmen zu fangen. ”
    (Quelle: http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/die-kanzlerin-begibt-sich-in-den-bunker/ )

    Und bei Richling auch der satirische Tipp: Einfach bauen lassen und hinterher fährt keine Sau damit. (siehe: http://www.youtube.com/watch?v=HEaX2IzYyvk)

  12. Aber wer bestimmt die Teilnehmer? Für manche gilt selbst Sloterdijk als seriöser Philosoph 😀
    Demokratie zu definieren, wird ja in der (Politik-)Wissenschaft oft genug versucht. Dennoch interessiert das die meisten politisch Verantwortlichen recht wenig.

    Bei der Verantwortlichkeit der Abgeordneten könnte man natürlich ein imperatives Mandat ins Auge fassen, aber das ist auch nicht ohne Gefahren

  13. Naja man kennt ja aus der IT Whitelists und Blacklists. In dem Fall der Teilnehmerbestimmung muss man abwägen, was akzeptabler ist. Eine Blacklist könnte beinhalten “Sozialdarwinismus, Eugenik, Technokratie, Neoliberalismus, NeoCons, unwissenschaftliches Gefasel” und vergleichbares.

    Aber gibt es nicht auch den Fall, dass man sich an gewissen Konventionen halten muss? So könnte man doch Demokrate in eine Konvetion gießen und dann muss es die politisch Verantwortlichen interessieren, weil bei Verstoß eine Exil-Strafe verhängt wird.
    Finde die Exil-Idee generell sympatisch. Damit schickt man jemanden für einen Zeitraum aus dem Land, der länger ist als eine Legislatur. Danach darf er gerne wieder kommen und es nochmal versuchen. 😉

    Eigentlich bräuchte man doch Sklaven, die einem gehören und an den Hebeln sitzen und das tun, was man sich selbst als Ziel gesetzt hat. Und im 21. Jahrhunder könnten das ja irgendwelche Bot-Agenten sein. Aber das ist natürlich reines SciFi, da durch Computerisierung alles nur noch angreifbarer würde… (und ja, ich hab mir mal das LiquidDemocracy erklären lassen und finde das Prinzip dahinter vielversprechend ^^)

  14. Und was sagen die Neoliberalen und Neocons dazu?

    Ne, Exil ist doch Quatsch. Man könnte doch bspw. sagen, wenn die Regierung meint, 364 Euro sind genug, dann bekommen sie die ab jetzt als Diäten. Oder wenn sie neue Atomkraftwerke bauen wollen, müssen sie in deren Nähe ziehen 😀

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