Vermischtes der letzten Tage: erneuerbare Energien, Niebels Nepotismus, Seibert jetzt auch offiziell Regierungssprecher

Kurz ein paar Hinweise auf einige recht interessante Vorgänge und Meldungen der letzten Tage:


Laut einer Studie des Umweltbundesamtes könnte der Strom für Deutschland im Jahr 2050 komplett aus erneuerbaren Energien kommen (via). Es sei möglich, die Treibhausgasemissionen auf nahezu Null zu senken. Die technischen Voraussetzungen seien dabei heute schon gegeben, das vorhandene Potential müsste nur voll ausgenutzt werden. Selbst bei heutigem Lebensstil und  Konsum- und Verhaltensmuster sei dies möglich. Und die Kosten wären geringer  als die Kosten, die ein ungebremster Klimawandel verursachen würde.

All das Gerede, Solar-, Wasser-, Windkraft und Erdwärme könnten nie den Strombedarf komplett decken, die von den Mietmäulern der Energiekonzerne und der Atomwirtschaft, oft mit dem Argument der angeblich unüberwindbaren Schwankungen, immer wieder in der Öffentlichkeit lanciert werden, sind falsch. Die Fluktuation kann jederzeit sicher ausgeglichen werden, da sich die unterschiedlichen Erzeugungsarten der erneuerbaren Energien, die Speicher und das Lastmanagement gut ergänzen können, so die Studie. (more…)

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Elitenförderung statt BAföG-Erhöhung: Zementierung der sozialen Spaltung

Der Bundesrat hat heute wirklich das denkbar schlechtest mögliche getan und dem Stipendienprogramm der Bundesregierung zugestimmt, die geplante BAföG-Erhöhung aber abgelehnt. Manchmal fällt es tatsächlich schwer, bei bestimmten Vorgängen noch bei einer nüchternen und sachlichen Argumentation zu bleiben, und man möchte den Beteiligten nur noch die übelsten Schimpfwörter an den Kopf werfen. Doch das hilft ja nicht weiter.

Schauen wir uns also einmal an, was das konkret bedeutet. 160.000 der  “leistungsstärksten” Studenten sollen zukünftig mit 300 Euro pro Monat, unabhängig von ihrem Einkommen und dem ihrer Eltern, gefördert werden. Die Hälfte der 300 Millionen Euro Kosten soll aus der Privatwirtschaft eingesammelt werden, die auch über die Verteilung der Mittel mitentscheidet. Die Zustimmung der Länder zu dem Gesetz hat nun ermöglicht, dass der Bund nun die für die Länder vorgesehenen Kosten (bis auf Verwaltungsaufgaben) tragen wird. Für die geplante BAföG-Erhöhung um 2% (die damit sogar noch unter der Inflationsrate gelegen hätte), um durchschnittlich 13 Euro mehr pro BAföG-Empfänger, will man nun kein Geld mehr ausgeben: sie wurde wegen finanzieller Vorbehalte gestoppt. (more…)

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Eine Schlappe für die Bundesregierung – aber auch für rot-rot-grüne Optionen

Christian Wulff ist im dritten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Doch so schön die “Klatsche” für die Regierung durch die Nichtwahl im ersten und zweiten Wahlgang sein mag: in Wirklichkeit hat die Opposition kaum etwas gewonnen. Die Ereignisse um die Wahl werden schon bald wieder in Vergessenheit geraten. Dafür aber haben die rechten Flügel von SPD und Grünen die Möglichkeit zu einer gemeinsamen Opposition von links schwerer gemacht, wenn nicht unmöglich – und das durchaus gezielt. Die Partei Die Linke hat (zumindest in den Augen der Öffentlichkeit) die Chance versäumt, Wulff als Bundespräsidenten zu verhindern und sich klar von der DDR zu distanzieren. Die Vorgänge um die Bundespräsidentenwahl bedeuten also 1. den Sieg der Parteitaktierer und 2. einen Erfolg der wirtschaftsliberalen Kräfte bei SPD und Grünen gegen diejenigen, die für eine soziale Politik eintreten.

Von den Unions- und FDP-Abgeordneten stimmten durhaus überraschend viele Delegierte nicht für Christian Wulff. Diese “Abweichler” sind aber wohl nur zu einem geringen Teil der klägliche Rest von Politikern, die Überzeugungen vor Parteitaktik stellen. Der größere Teil werden solche gewesen sein, die mit der Bundesregierung aus den unterschiedlichsten Gründen unzufrieden waren und ihr einen Denkzettel verpassen wollten. Dieser sollte aber nicht so weit gehen, ihr wirklichen Schaden zuzufügen, und so haben sie sich dann anscheinend doch recht bereitwillig “disziplinieren” lassen und die Zahl der Stimmen für Wulff kontinuierlich zugenommen. Die Parteipolitik hat wieder einmal gesiegt.

Gesiegt haben ebenso die rechten, d.h. vor allem konserativen und wirtschaftsliberalen Politiker bei SPD und Grünen. Diese haben ihr Hauptziel, das ihnen noch wichtiger war als die Destabilisierung der Regierungskoalition, erreicht: die Diffamierung der Partei Die Linke und die Schmälerung der Chancen auf Rot-Rot-Grün. Ihnen ist es gelungen, denen, für die sie Politik machen, zu signalisieren, dass sie an “Bürgerlichkeit” der Union und der FDP in nichts nachstehen und dass sie v.a. nicht gewillt sind, einen fundamentalen Politikwechsel vorzunehmen. Der Wegweiser ist derselbe, und er zeigt klar in Richtung Wirtschaftsliberalismus, Deregulierung und Sozialabbau. Eine linke Politik soll mit allen Mitteln verhindert werden, und dafür wird sogar die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten verwendet. Und sie haben es sogar geschafft, dass andere Teile ihrer Parteien in der Öffentlichkeit mitziehen. Denn wenn SPD und Grüne nun pauschal der Linken die Schuld an Gaucks Nichtwahl zuweisen, ist der nur allzu offensichtliche Plan der Konservativen und Neoliberalen außerhalb von Union und FDP aufgegangen. Ein wirklich linker Politikwechsel wäre nur mit rot-rot-grün möglich gewesen, und das ist nun zumindest für die absehbare Zeit kaum durchführbar. Diese Chance wurde gezielt verbaut.

Können sich freuen: eine linke Politik ist in der nächsten Zeit kaum möglich.

Dabei wurden von ihnen gezielt Gruppendynamik und Parteikadavergehorsam instrumentalisiert: Denn die selben Parteipolitiker, die Gauck in den letzten Wochen so hochjubelten, hätten ihn als Kandidaten von Schwarz-Gelb natürlich ebenso entschieden abgelehnt. Die gespielte emotionale Empörung angesichts dessen, dass ihn die Partei Die Linke nicht wählte, ist nicht sehr überzeugend. Gauck war nie ein politisch linker Kandidat und seine Äußerungen zur Linken nach seiner Nominierung erweckten nicht den Eindruck, dass man die Stimmen dieser Partei auch nur irgendwie haben wollte. Im Gegenteil: SPD und Grüne hätten wohl kaum einen Kandidaten finden können, der weniger für eine linke Politik steht und den die Partei Die Linke eher angelehnt hätte.

Das Verhalten der Partei Die Linke ist also teilweise durchaus nachvollziehbar, wenn auch nicht taktisch das Klügste. Man hätte hier die Chance gehabt, alles Stasi-Gerede der Mainstream-Journaille Lügen zu strafen und Schwarz-Gelb empfindlicher zu treffen, als es jetzt der Fall ist. Den ganzen Wahltag über waren folglich, und es wird die nächsten Tage sicher zunehmen, die vorhersagbaren und sicher gut eingeübten Statements zu hören, die die Presse natürlich nur um so lieber verstärkt: Die Linke ist nicht in der Demokratie angekommen, sie ist nicht regierungsfähig. Dieser Eindruck wird sich natürlich durch die mediale Indoktrination auch auf die Bevölkerung ausbreiten und die Zustimmung zu der Linken als auch zu rot-rot-grünen Koalitionen senken – auch wenn inhaltlich immer noch viele Ziele von einer Mehrheit geteilt werden mögen.

Und daran ist die Linke auch nicht ganz unschuldig, das muss man wohl festhalten. Zumindest im letzten Wahlgang wäre Gauck sicher das “geringere Übel” als Wulff gewesen: Wulff verkörpert die CDU an sich: er ist konservativ, erz-christlich, neoliberal. Gauck ist das sicher auch alles – aber in einer deutlich gemäßigteren Ausprägung, z.B. ist er ein Schröder-Anhänger. Zudem ist Gauck unabhängig, Wulff ist ein reiner Parteipolitiker, und er tritt entschieden für gesellschaftliche Freiheit und Bürgerrechte ein, was Wulff nicht tut (siehe bspw. Uwe Schünemann). Dies hätte alles dafür gesprochen, Gauck im dritten Wahlgang zu wählen.

Andererseits hätten, sieht man sich den zweiten Wahlgang an, die Stimmen für Gauck auch nicht einmal gereicht, wenn SPD, Grüne und Linke alle Gauck gewählt hätten und die Gauck-Wähler von Union und FDP bei ihrer Stimme geblieben wären. Der Vorwurf, Wulff an die Macht geholfen zu haben, ist also nicht tragbar. Außerdem hätten damit viele Linke ihre Überzeugung verraten und sich unglaubwürdig gemacht.

So oder so: durch eine recht geschickt durchgeführte Taktik der anti-linken (und damit ist nicht die Partei gemeint) Kräfte in SPD, Grünen und Medien konnte die Partei Die Linke nur verlieren, so wie es auch Anhänger von rot-rot-grünen Kooperationen nur konnten. Bei den Seeheimern werden somit nun sicherlich die Korken knallen, trotz der Wiederwahl von Wulff. Die Politik in Deutschland wird weiter in eine neoliberale Richtung gehen, dafür ist nun gesorgt.

Nachtrag:

Am Mittwoch Abend bei Hart sagte Hans-Ulrich Jörges, er hätte aus der Linken gehört, dass diese Gauck gewählt hätte,  wenn ihre Stimmen gereicht hätten, durch diese Wulff zu verhindern. Spon berichtet am Donnerstag über Reaktionen aus der Linken und der SPD, u.a.:

Obwohl sich die SPD in der Öffentlichkeit lautstark über das Verhalten der Linken beschwert, sind hinter vorgehaltener Hand auch andere Kommentare zu hören: Viele Sozialdemokraten verbuchen es als taktischen Erfolg, dass sie mit dem Kandidaten Gauck nicht nur Unfrieden in der Koalition geschürt, sondern auch die Linkspartei gezwungen haben, sich von SPD und Grünen zu distanzieren.

Links zum Thema:

Viele Verlierer (Der Freitag)

Die Bundespräsidentenwahl – Ein Lehrstück (Oeffinger Freidenker)

Erosion einer Regierung (binsenbrenner.de)

Bundespräsidentenwahl ohne Gewinner (blogsgesang)

Die Meta-Politik-Show (NachDenkSeiten)

Bildquellen:

Picasa (Angelia2041) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/

Wikimedia (Gabriel, Kahrs,  beide unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/; Scheel, unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en)

Flickr (Sebastian Hillig) / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

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Elitenförderung statt Bildungsrepublik

Freitag letzter Woche hat der Bundestag einige Änderungen am Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und die Einführung eines neuen Stipendienmodells beschlossen. Nicht nur bei der Opposition, auch bei den meisten bildungspolitischen Akteuren stoßen diese Maßnahmen jedoch mindestens auf starke Skepsis, bis hin zu klarer Ablehnung – und dies selbst bei bspw. Stipendiantenguppen. Das deutsche Bildungssystem braucht in Wahrheit ganz andere Veränderungen als die von Union und FDP beschlossenen.


BAföG-Erhöhung: nicht einmal die Inflation ausgeglichen

Ab 1. Oktober sollen die BAföG-Sätze um 2%, die Elternfreibeträge um 3% steigen. Außerdem erfolgen eine Verschiebung der Altershöchstgrenze von 30 auf 35 Jahre und ein paar andere Änderungen (die durchaus zu begrüßen sind). Laut Bildungsministerin Schavan sollen so zukünftig 50.000 bis 60.000 mehr Studierende BAföG erhalten. Der Höchstsatz  steigt auf 670 Euro (einschließlich Krankenversicherungszuschuss). Dies wird insgesamt im Durchschnitt 13 Euro im Monat mehr pro BAföG-Empfänger bedeuten.

Nun ist es immer recht populär, Sätze wie “solche Beträge bewirken ja gar nichts!” zu gebrauchen.  Gerne wird dies natürlich von denen getan, denen 13 Euro pro Monat in der Tat egal sein können – kommt man aber gerade so über die Runden, sind 13 Euro mehr im Monat nun einmal 13 Euro mehr. Und natürlich bedeutet der Gesamtbetrag durchaus einen Fortschritt, wie klein er auch sein mag, und insgesamt sind auch positive wirtschaftliche Aspekte wie die Steigerung der Binnenachfrage (da der Großteil direkt wieder in den Konsum gehen wird) zu erwarten.

Alles gut also? Durchaus nicht. Die BAföG-Erhöhungen erfolgten bisher in einem so niedrigen Bereich, dass die deutschen Studenten in den letzten Jahren in Wahrheit immer weniger Kaufkraft besaßen (vgl. auch den BAföG-Bericht der Bundesregierung, z.B. S. 44) – und diesmal ist es nicht anders, denn man muss die Erhöhung natürlich im Rahmen der Inflation sehen. Tut man dies, merkt man, dass sich die angebliche Erhöhung schnell als Täuschung entpuppt. Schon bei der letzten, längst überfälligen Steigerung des BAföGs 2008 (davor 2001!) wurde noch nicht einmal die Inflation ausgeglichen – und es hatte durch die “kalte Progression” auch noch ein zunehmender Anteil von Studierenden den BAföG-Anspruch verloren (siehe DIW).  Auch die jetzt geplante Erhöhung kann nicht einmal mit der Inflationsrate mithalten . Real gab es also sogar eine Senkung der BAföG-Beträge – nur jetzt wieder etwas weniger stark.

Die GEW hält eine Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge um zehn Prozent für notwendig, um gestiegene Lebenshaltungskosten auszugleichen und den Anteil der BAföG-Empfänger zu steigern. Dass die tatsächliche Erhöhung aber deutlich niedriger ausfällt kann aber nur bedeuten, dass die Bundesregierung dieses Ziel nicht teilt.

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Dies zeigt wieder einmal, dass eine Kopplung des BAföGs  an die Preissteigerung (Verbraucherpreise) unbedingt notwendig wäre. Zudem verharren die Bildungsausgaben insgesamt immer noch auf einem international sehr niedrigem Niveau. Zu Recht mahnt etwa die OECD immer wieder an, dass Deutschland seine Mittel für diesen Bereich dringend drastisch erhöhen müsse, allein schon, um den Anteil der Abiturienten und Studenten auf das durchschnittliche Niveau der Industriestaaten zu heben.


Stipendien für Reiche statt Bildung für alle?

Außerdem wurde letzten Freitag die Einführung eines nationalen Stipendiensystems beschlossen. Bis zu 160.000 der “leistungsstärksten Studenten” sollen dabei gefördert werden. So will die Bundesregierung eine Erhöhung der Zahl der Studierenden mit Stipendien um 8%  (von 2% auf 10%) erreichen. Besonders diese Maßnahme ist heftig umstritten.

Denn die Stipendien sollen einkommensunabängig vergeben werden – auch Kinder von Millionären oder Milliardären werden also künftig von der Gesellschaft 300 Euro monatlich erhalten. Nicht umsonst stehen solche Programme bei Bildungswissenschaftler in keinem guten Ruf. Sie schaffen die soziale Selektivität des deutschen Hochschulsystems nicht ab, nein, sie verstärken sie sogar eher. Das Geld der Steuerzahler wird wenig sinnvoll verwendet und kommt nicht dort an, wo es den meisten Nutzen stiften könnte.

Eine derartige “Elitenförderung”  ist außerdem nicht das, was Deutschland brauche – breite Bildungschancen für alle, eine deutlich höhere Akademikerquote sind vielmehr notwendig. In keinem anderen OECD-Land hängt der Bildungserfolg derart stark vom sozialen Hintergrund des Elternhauses ab.  Das sozial äußerst selektive deutsche Schulsystem führt dazu, dass kaum Kinder aus Arbeiterfamilien die Universität besuchen. Wer erfolgreich aus diesem Schulsystem hervorgeht und damit für ein Stipendium in Frage kommt, stammt meist aus gesellschaftlichen Schichten, die keine weitere finanzielle Förderung mehr benötigen.

Wir brauchen nicht mehr Elite-Studenten und nicht größere Unterschiede der Qualifikationen, wir brauchen mehr Studierende, und dabei vor allem mehr aus sozial weniger privilegierten Schichten. Diese müssen viel stärker als bisher gefördert werden, will Deutschland nicht endgültig im Bildungsbereich zur Zwei-Klassen-Gesellschaft werden. Selbst Bundesbildungsministerin Schavan gesteht zu, dass der Anteil von Studenten aus einkommensschwachen Familien zu gering sei. Mit diesem Stipediensystem wird dies jedoch kaum verändert werden. Die herrschenden gesellschaftlichen Schichten, die sich gerne als Elite betrachten, bleiben unter sich und nehmen die 300 Euro mehr pro Monat auch gerne noch an – benötigt würde das Geld an ganz anderen Stellen.

Selbst bei Stipendianten-Gruppen stößt dieses Modell auf massive Kritik und führte gar zu Demonstrationen vor dem Bundestag. Das Geld wäre besser für eine weitere BAföG-Erhöhung verwendet worden, hieß es von dieser Seie, da es dort auch bei den Studenten, die es wirklich brauchen, ankäme.


Bildung: staatliche Aufgabe oder durch der Privatunternehmen Gnaden?

Die Stipendien sollen zudem zwar von den Hochschulen vergeben, aber zu gleichen Teilen mit öffentlichen und privaten Mitteln finanziert werden. Die Hauptlast der Ausgaben werden aber freilich die Universitäten tragen, wenn man die Verwaltungsausgaben mit einbezieht. Zudem wird befürchtet, dass so gerade kleinere und mittelgroße Universitäten Nachteile haben werden, die sich kaum extra Personal leisten können.

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Das Hauptproblem ist aber, dass dadurch die Privatwirtschaft noch mehr Einfluss auf die Universitäten, auch auf Lehrpersonal und -inhalte ,haben wird, als sie jetzt schon besitzt. Die Verwertungsaspekte werden noch mehr in den Vordergrund rücken, Bildung wird noch mehr zur Ware werden. Vor allem werden natürlich solche Fächer gefördert werden, die unmittelbar den Gewinninteressen privater Konzerne zu Gute kommen. Die Universitäten werden sich weiter der Privatwirtschaft anbiedern, der Erwerb kritischen Wissens wird erschwert werden und soziale Fragen werden in den Hintergrund gedrängt. Man wird überall bedacht sein, nicht allzu kritisch mit den milden Gönnern umzugehen – und vor allem die Dominanz des Kapitals und die herrschende Gesellschaft nicht in Frage zu stellen. Man beißt schließlich nicht die Hand, die einen füttert.

Dem von einem Privatunternehmen geförderten Studierenden wird die Antwort auf die Frage nicht schwer fallen, ob er eine unabhängige Wissenschaft oder das Geschäft seines Mäzen betreibt. Das Humboldtsche Bildungsideal erscheint ihm so nur noch als bemittleidenswerte Anekdote aus früheren Tagen. Schon die Umstellung auf Bachelor/ Master war ein Ausdruck der gesellschaftlichen Dominanz neoliberaler und neokonservativer Gruppen. Mit dieser Maßnahme will die Bundesregierung  und der Freiheit von Forschung und Lehre nun offenbar den Todesstoß versetzen.


Verantwortungsloser Bundesrat – Sparen an der falschen Stelle

Im Bundesrat stehen die beschlossenen Gesetze derweil unter starkem Finanzierungsvorbehalt und sind daher heftig umstritten. Man befürchtet, allein für die BAföG-Erhöhung 530 Millionen Euro bezahlen zu müssen. Der Finanzausschusses des Bundesrats hat nun beschossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.

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Hier zeigen sich die Defizite des fatalen deutschen Bildungsföderalismus. Die Bildungsausgaben werden hier zum Spielball des Geschachers von karriereversessenen Machtpolitikern. Vor allem die Unions-Ministerpräsidenten, allen voran Koch, wollen den von weltweit führenden Ökonomen scharf kritisierten Sparkurs Deutschlands selbst noch auf dem Gebiet fahren, wo er am meisten Schaden anrichten kann – bei der Bildung. Ein solches Verhalten ist selten verantwortungslos.

Der Vorschlag,vorerst die Stipendien-Programm auf Eis zu legen (diese sind wohl auch der – durchaus nachzuvollziehende – Grund, weshalb sich auch bei der SPD eine Ablehnung abzeichnet), wäre dabei durchaus eher zu verschmerzen. Die Kopplung beider Maßnahmen durch die Bundesregierung mag zwar taktisch geschickt sein, doch wäre es auch kein gutes Zeichen, auf eine BAföG-Erhöhung verzichten zu müssen, weil sie auf ihren Elitenförderungswünschen beharrt. Zudem wird die Union unter ihrer Anhängerschaft durch diese wohl auch wenig an Zustimmung erwarten können – nicht mehr Geld für Bildung bereit stellen zu wollen, kommt jedoch in allen Lagern wenig an.


Die Bildungspolitik von Schwarz-Gelb: Ein paar Nebelkerzen und viel Dogmatismus

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Die beschlossenen Maßnahmen lassen das Gerede der Bundeskanzlerin von der Bildungsrepublik wieder einmal als bloße Show und billiges Blendwerk erscheinen, mit dem man sich ein paar nette Schlagzeilen in der Haus- und Hofpresse verschaffen kann, ohne viel dafür tun zu müssen. Das Thema ist sowieso schnell aus der Aufmerksamkeitsspanne der Medien verschwunden, und selbst eine BAföG-Erhöhung unterhalb der Inflationsrate wird von den Jubelpersern der Bundesregierung als Erfolg dieser verkauft.

Am Ende bleiben nur Phrasen wie “Bildung ist unsere Zukunft” oder “Wir haben doch nichts außer der Bildung”  – und sie verhallen schnell in überfüllten Hörsälen und zerbröckelnden Klassenzimmern. Studierenden, die nicht in ein Seminar kommen und deshalb die erbarmungslosen Vorgaben ihres Bachelor-Studienganges nicht einhalten können, werden die 300 Euro für eine kleine Gruppe Privilegierter im Jura- oder BWLer-Trakt nicht viel nutzen.

Wie schon in Folge des Bildungsstreiks und nach den sogenannten Bildungsgipfeln versucht die schwarz-gelbe Bundesregierung, ein paar Beruhigungspillen (wie jetzt die BAföG-Erhöhung) zu verteilen, anstatt die wirklichen Defizite im deutschen Bildungssystem anzugehen. Und sie lenken davon ab, dass in der deutschen Schulpolitik wie der Hochschulpolitik auf eine elitäre, unsolidarische und schädliche Politik gesetzt wird, die auf eine Ausgrenzung der Masse der Gesellschaft von Bildungschancen setzt und die sozialen Unterschiede veschärft, statt Bildung als ein öffentliches Gut, das für alle gleichermaßen zugänglich sein muss, zu etablieren. Die jetzigen Maßnahmen zu den Stipendiensystemen zeigen so wieder einmal, wie sehr in der Bundesregierung eine dominierende neoliberale Ideologie sachgerechte Lösungen unmöglich macht.

Bilder:

(1) Flickr (Björn  Rohles) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

(2) Flickr (Björn Kietzmann) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(3) Flickr (chris 9773) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

(4) Flickr (Merkelizer) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Update:

Am Freitag Nachmittag haben zwei Ausschüsse des Bundesrates gegen das Stipendien-Programm gestimmt. Der Bundesrat insgesamt muss aber noch abstimmen. Und dann steht noch der Vermittlungsausschuss offen. Vor diesen kommt eventuell auch die BAföG-Erhöhung.

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Paket der Nicht-Überraschungen

Von Stefan Sasse

Die schwarz-gelbe Regierung hat endlich ihr Sparpaket vorgelegt, das unbedingt bis zur Steuerschätzung im Mai (lies: Landtagswahl in NRW) warten musste. Bereits im September wurde in der einschlägigen Bloggerszene prophezeit, dass Schwarz-Gelb bis zu dieser Wahl stillhalten und die großen Grausamkeiten erst danach in der relativen Ruhe bis zur nächsten Landtagswahl 2011 anbringen würde. Auch, dass es dabei vor allem der Mittelschicht und den Armen an den Kragen gehen würde, war von vornherein klar. Erschreckend ist deshalb weniger das Sparpaket selbst, als vielmehr wie wenig überraschend jeder einzelne Vorschlag eigentlich ist. Aber gehen wir analog zu einer halbwegs informativen Bilderstrecke in der SZ die elf großen Bereiche durch, in denen die Regierung den Rotstift angesetzt hat – oder korrekter den Schwarzstift, denn es handelt sich fast nirgends um Sparvorschläge, sondern eigentlich immer um Einnahmeerhöhungen.

1) Arbeitslosengeld
Das Arbeitslosengeld I soll gekürzt werden. Wie genau, steht noch nicht fest, aber Merkel sieht da großes Potential. Es ist anzunehmen, dass die Regierung vor allem die Änderungen im Blick hat, die die SPD unter der kurzen Ägide Beck durchgeboxt hat und ungefähr auf den Kostenstand vor dieser Reform zurückkommen will. Viel mehr ist kaum möglich. Interessanter ist das Orakeln von einer Umstrukturierung des Arbeitslosengeldes, das man aus Regierungskreisen vernimmt. Vermutlich wird hier eine weitere kosmetische Korrektur auf uns zukommen, die vor allem eines bewirkt: Geld zu kosten und neue Forderungen an die Bezieher von Leistungen zu stellen. Es heißt, dass die Agenturen “sich darauf konzentrieren sollen, Jobs zu vermitteln”. Das allerdings ist natürlich geradezu erschreckend innovativ und in etwa so zielführend wie das Wasserschöpfen mit einem Sieb. Noch immer wird so getan, als ob es fünf Millionen offene Stellen gibt, die die Unternehmen händeringend zu vergeben suchen. Diese Reform dürfte also bestenfalls aufkommensneutral sein, aber in Wahrheit wohl eher Geld kosten. Sie ist allerdings für das schwarz-gelbe Selbstverständnis von zentraler Bedeutung; besonders nach Westerwelles Poltereien ist es unvorstellbar, dass nicht zumindest symbolisch bei den Arbeitslosen “gespart” wird.Gering- und Normalverdiener werden allerdings an dieser Stelle ebenfalls zur Kasse gebeten: der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll kurzfristig von 2,8% auf 3% und mittelfristig noch weiter steigen.

2) Elterngeld
Das Elterngeld, erst 2007 von Ursula von der Leyen eingeführt, soll ab einer Bezugshöhe von 1.240 Euro von 67% des letzten Nettogehalts auf 65% des letzten Nettogehalts gekürzt werden; die Obergrenze von 1.800 Euro bleibt unangetastet. Wer vorher viel verdient hat, wird also nichts spüren, wer vorher schon wenig hatte, hat künftig noch weniger. Diese Maßnahme dürfte tatsächlich Geld einsparen, aber sie ist für die selbst gesteckten Ziele der Koalition vollkommen widersinnig, will man doch für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und höhere Geburtenzahlen sorgen. Das Signal, dass das Elterngeld prinzipiell zur Disposition steht und jederzeit gekürzt werden kann animiert natürlich nicht unbedingt zur Familiengründung.
Viel schlimmer ist die Elterngeldstreichung für Hartz-IV-Empfänger. Sie sollen ab sofort überhaupt kein Elterngeld mehr beziehen, da der Grundbedarf durch Hartz-IV bereits abgesichert sei. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung einer härteren Linie gegen Arbeitslose im Westerwelle’schen Sinne, aber sie dürfte ebenfalls größtenteils Symbolik zu Lasten der Schwächeren sein. Gerade vor dem Hintergrund des BVerfG-Urteils und der bestehenden Gesetzeslage können die Arbeitslosen durch die Streichung andere Leistungen einfordern. Dies ist aber für die Koalition irrelevant, da sie eine große Einsparung im Bereich des Elterngelds verkünden und die Summe ihren Sparzielen hinzufügen kann, während die dann steigenden Ausgaben im Arbeitsministeriums-Etat gewissermaßen “unvorhergesehen” hinzukommen werden und das Saldo auf diese Art wieder ausgleichen.

3) Öffentlicher Dienst
Im Öffentlichen Dienst sollen bis zu 10.000 Stellen gestrichen werden. Nun sind dort aber bereits seit 1998 fast die Hälfte aller Vollzeitstellen weggefallen; eine weitere Ausdünnung des Dienstes, dessen Beschäftigungsniveau inzwischen unter das Großbritanniens gefallen ist, ist rein technisch kaum mehr möglich. Davon abgesehen wurden im Öffentlichen Dienst schon in mehreren Großreformen zuvor, etwa unter Eichel und Waigel, Stellen abgebaut, indem man schlicht verfügte, dass sie nicht neu besetzt werden, wenn der bisherige Inhaber in Rente geht. Das bedeutet, dass auch diese Einsparungen kosmetisch sind, da sie – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren und über Jahrzehnte gestreckt wirksam werden. Davon einmal abgesehen ist eine Stellenstreichung im Öffentlichen Dienst ohnehin stark kontraproduktiv; der Spareffekt dürfte also gleich null sein.

4) Bundeswehr
Bis zu 40.000 Stellen will die Bundeswehr abbauen, dazu mehrere Standorte schließen. Guttenberg stellte sogar offiziell die Wehrpflicht selbst zur Disposition, auch wenn dies ein rein polittaktisches Manöver war. Tatsächlich wäre das Einsparpotential hier beträchtlich, wenn man endlich davon absehen würde, sich in außenpolitische Abenteuer in bester wilhelminischer Kolonialtradition zu stürzen. Alleine Afghanistan kostet jedes Jahr einen Milliardenbetrag, und auch diverse immer noch laufende Rüstungsverträge aus der Zeit des Ost-West-Konflikts (Stichwort Eurofighter) wären überdenkenswert. Generell ist das Einsparpotential im Wehrdienstbereich, der kaum als Hülle übrig bleiben wird, hoch – zugunsten einer Berufsarmee. Dazu kommt, dass der Vertrag von Lissabon ohnehin ein Aufrüstungsgebot enthält, auf das Guttenberg möglicherweise spekuliert – seine große Sparbereitschaft, öffentlichkeitswirksam verkündet, könnte also bequemerweise von Brüssel gestoppt werden.

5) Deutsche Bahn
Angeblich soll die DB dazu verpflichtet werden, eine jährliche Dividende von 500 Millionen Euro zu überweisen. Dieser Schritt kommt überraschend und ist absolut vernünftig. Unter der Ägide Mehdorn hat die Bahn gigantische Gewinne auf Kosten der Substanz eingefahren, eine Politik, die sich auch unter Grube nicht wesentlich geändert hat. Da es im Zweifel ohnehin der Bund ist, der das marode Schienennetz ersetzen muss, ist die Einforderung dieser Dividende nur konsequent. Man fragt sich, wo der Haken liegt. Wahrscheinlich erhöht die Bahn bald die Preise mit der Begründung dieser Dividende.

6) Atomenergie
Die Regierung will sich die Verlängerung der Laufzeiten etwas kosten lassen (also außerhalb der Bestechungsgelder). Zu diesem Zweck soll eine Brennelementesteuer in Höhe von etwa 2,3 Milliarden jährlich erhoben werden. Schwarz-Gelb geht damit ungewohnt hart an die Töpfe der Energiebranche, aber erstens hat man denen all die Jahrzehnte zuvor das Geld wirklich mit vollen Händen hinterhergeworfen, seit der Privatisierung ohnehin, und zum Zweiten ist das immer noch nur ein echter Bruchteil der Gewinne. Trotzdem ist es eine positive Überraschung, dass die Energiewirtschaft wenigstens ein bisschen was zurückgeben muss. Zu befürchten ist allerdings, dass e.on und Co wie auch die Bahn einfach ihre Preise erhöhen werden.

7) Subventionsabbau
Über diesen “Sparvorschlag” kann man nur müde lächeln. Zum Einen verspricht jede Bundesregierung, Subventionen abzubauen, und zweitens steht zu befürchten, dass damit “Subventionen” wie der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel gemeint sind und nicht der für Hotels. Die SZ nennt die Abschaffung der Befreiung des Flugverkehr von der Ökosteuer, die für die Unternehmen bisher 24 Milliarden sparte. Man darf allerdings skeptisch sein, ob tatsächlich solche Subventionen angegangen werden – eine Parteispende an die FDP, und schwupps erkennt die, wie wichtig diese oder jene Subvention ist.
Gestrichen werden sollen auf jeden Fall auch Hilfen für den Wohnungs- und Hausbau, die zu Lasten der Mittelschicht gehen, aber andererseits auch nicht wirklich zu rechtfertigen sind – warum sollten diese Menschen Hilfen für ihren eigenen Wohnraum erhalten, wenn andererseits Hartz-IV-Empfänger alles Mögliche gestrichen bekommen? Der Wohnungsbau auf der grünen Wiese hat außerdem infrastrukturell und ökologisch verheerende Folgen gehabt. Ebenfalls gestrichen werden soll der Heizkostenzuschuss für Geringverdiener, erst 2008 eingeführt, mit der Begründung, dass sich die Energiekosten wieder normalisiert hätten.

8.) Bankensektor
Nicht einmal die FDP ist mehr ernsthaft dagegen, den Banken irgendeine Art von Steuer aufzuerlegen, um sie an den Kosten ihrer eigenen Rettung zu beteiligen. Die Art, wie dies geschehen soll, ist allerdings hochumstritten. Dass etwas passieren muss ist angesichts der Stimmung in der Bevölkerung unumstritten, es ist völlig klar, dass Tatenlosigkeit hier sich äußerst negativ für die Regierungsparteien bemerkbar machen wird. Merkel redet derzeit immer noch von der auf globaler oder zumindest europäischer Ebene einzuführenden Transaktionssteuer, aber das ist vollkommen irreal. Zumindest Großbritannien wird sicher nicht mitmachen, und global ist auch auf die USA nicht wirklich zu bauen. Vermutlich wird sich hier die FDP nach einem politischen Schattengefecht durchsetzen, so dass es nur eine Finanzaktivitätssteuer auf Gewinne geben wird. Diese wird zwar vermutlich auch Geld einbringen, aber erstens nicht so viel und zweitens fehlt ihr der regulierende Effekt.

Zu diesen Vorschlägen kommen weitere kleine Dinge wie die Verschiebung des geplanten 500-Millionen-Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses. Insgesamt aber nimmt sich die Liste nicht besonders beeindruckend aus. Es finden sich diverse kosmetische Änderungen darunter, die lediglich Geld hin und her schichten, dabei jedoch als Einsparungen ausgegeben werden können, und es wird garantiert als Bonbon für die FDP auch noch eine rein kosmetische Steuersenkung im Mittelschichtbereich geben, die durch eine der geplanten Abgabenerhöhungen wie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ohne Zweifel aufgefressen werden wird.

Die Koalition doktert völlig ideenlos mit veralteten Rezepten herum und schnibbelt planlos an den Etats. Bisweilen blitzt sogar so etwas wie Wille durch, zum Großteil geht es aber lediglich darum, die eigene Wählerschaft ruhig zu stellen. In erstere Kategorie fallen die Abgaben für Bahn und Energiewirtschaft, in letztere die Streichungen im Arbeitslosenbereich. Auf diese Art kann die Regierung nach beiden Seiten hin den Plan rechtfertigen: die Masse des Volkes wird mit dem Verweis auf Einschnitte bei den Krisenverursachern ruhiggestellt, während gleichzeitig der Verdacht aus der Welt geräumt wird, sie könnte zu soft gegenüber den Hartz-IV-Empfängern sein, womit die Westerwelle-Fans beruhigt sind.

Leider wird das alles – abgesehen von einer Beruhigung des stark angeschlagenen schwarz-gelben Koalitionsschiffs – wenig nützen. Die Einnahmesituation des Staates wird sich leicht verbessern, während die Ausgaben ein klein wenig sinken, aber letzten Endes werden sich die tatsächlichen Effekte im niedrigen einstelligen Milliardenbereich finden, da davon auszugehen ist, dass die Kosten für die Arbeitslosen krisenbedingt noch weiter steigen werden und einige Infrastrukturmaßnahmen bereits so lange verschleppt wurden, dass sie irgendwann noch getätigt werden müssen.

In diese Rechnung ist dabei noch nicht einmal die Problematik aufgenommen, dass die Kürzungen, die die Koalition hier vornehmen will, in der aktuellen wirtschaftlichen Gesamtsituation höchst kontraproduktiv sind, da die bisherigen Defizitländer wie die PIIGS-Staaten oder die USA inzwischen ernsthaft zu einer Konsolidierung der Außenhandelsbilanz entschlossen sind. Versucht auch Deutschland, über Kürzungen einen Konsolidierungserfolg zu erreichen, ist dieser Versuch aller Wahrscheinlichkeit nach zum Scheitern verurteilt, wie beispielsweise von Weizsäcker erst in der FAZ feststellte.

Links:

Weißgarnix – Säue und Gurken
Weißgarnix – Berliner Luftschlösser
Weißgarnix – Kein Freibier mehr!
Weißgarnix – Luftbuchungen im Rangierbahnhof
FR – Rechnung ohne die Realität gemacht
SZ – Koalition ohne Idee
Ruhrbarone – Sparen ohne Ideen
FAZ – Das Janusgesicht der Staatsschulden

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Wenn sich Inkompetenz und Wahlkampfmanöver paaren

Der durch einseitige Ausrichtung auf Wahlkampfinteressen bestimmte und von hetzerischen Kampagnen der Boulevardpresse begleitete zögerliche Schlingerkurs der deutschen Bundesregierung in der Griechenlandfrage hat schon jetzt zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Schäden geführt. Die weiteren Folgen könnten noch verheerender sein.

Die Berichterstattung der deutschen Medien zur Griechenland-Krise ist von einer selbst für diese fast beispiellosen Inkompetenz geprägt, oft besteht sie nur im Nachplappern der von Wahlkampfmanövern bestimmten Positionen der Bundesregierung bis zu offener Hetze, Diffamierungen und niederste Beleidigungen seitens des Rechts-Boulevards. Positiv ragen in der Berichterstattung fast nur Onlineveröffentlichungen, etwa bei Weissgarnix (z.B. “Drohendes Desaster”), beim Herdentrieb (Zeit Online), auf Telepolis oder vom Spiegelfechter hervor.

Statemens von (ernstzunehmenden) Ökonomen sind in den Mainstream-Medien zudem selten zu finden. Aus gutem Grund, denn deren Analysen unterscheiden sich stark von dem populistischen Griechen-Bashing des Politik-Medien-Konglomerats. Heiner Flassbeck bezeichnet in einem Interview mit tagesschau.de das Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung zu Griechenland als katastrophal, u.a. da sie “dem Irrsinn, der im Moment an den Märkten herrscht, nicht Einhalt gebietet”, der “das Resultat von Zockerei und Panikmache” sei. Europa habe es leider versäumt, Maßnahmen zur Reform der Finanzmärkte wie die aktuell von Obama geplanten zu treffen. Finanzhilfen für Griechenland seien im Grunde richtig, aber in einer solchen Krise würden Sparmaßnahmen in Griechenland, die v.a. bei Löhnen und Sozialleistungen erfolgen, dessen wirtschaftliche und soziale Schieflage weiter verschärfen. Außerdem, so ein weiterer Punkt, solle die verzerrte Wettbewerbsfähigkeit in Europa aufhören: in Deutschland müssten höhere Löhne gezahlt werden.

tagesschau. de: Andere Stimmen sagen: Wir haben die Stabilitätskriterien eingehalten durch eine zurückhaltende Lohnpolitik und gut gewirtschaftet, und jetzt sollen wir für die einspringen, die das nicht getan haben. Ist das nicht ein berechtigter Einwand?

Flassbeck: Das ist vollkommen falsch. Man hat eine Währungsunion gemacht mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist eine implizite Verpflichtung, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben und hat damit sozusagen eine Deflationspolitik betrieben, ohne es den anderen zu sagen. So wurde Deutschland fast zum alleinigen Gewinner, während fast alle anderen darunter leiden. Das hat nichts mit Sparen zu tun: Das war und ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.

Nein, das hört man nicht gerne. Schulden und Inflation vermeiden, das ist dem Deutschen noch heiliger als sein Bier und sein Auto. Dass Deutschland zumindest eine Mitschuld an den europäischen Ungleichgewichten tragen könnte will man nicht einmal in Erwägung ziehen. Und dass die jahrelange Lohndumping-Ökonomie schädlich sein könnte, nein, dass ist ja alles nur sozialromantischer Linksextremismus! In Deutschland lässt man sich von allem, was gegen die neoliberale Ideologie spricht, egal wie gut belegt, egal wie sinnvoll es ist, schon lange keine Ratschläge geben. Flatter von Feynsinn schreibt:

Seit 30 Jahren wird gebetet, Konsum sei schädlich, niedrige Löhne gut und die jährliche Exportweltmeisterschaft pure Glückseligkeit. (…)

Kein Wort war es den gefragten “Experten” wert, wie volkswirtschaftlich – und zwar global – vernünftige Politik gestaltet werden könnte. Im Gegenteil wurde das Wohl und Wehe der Menschen dem “Standortwettbewerb” überantwortet, was nichts anderes heißt, als den manischen Egoismus eines einäugigen Betriebswirtschaftsdenkens der politischen Ökonomie überzustülpen. Werden in der kruden Konkurrenz der Betriebe und Konzerne die Verlierer vom Markt radiert oder ausgeweidet, ist das unschön, aber in Grenzen praktikabel. Dieses Prinzip aber als alternativloses den Staatswirtschaften zu verschreiben, ist ökonomischer Völkermord. Es sollte keine Volkswirtschaft existieren dürfen, die sich nicht den Regeln der profitorientierten freien Märkte unterwarf. Alternativen wurden mit aller Macht unterdrückt.

Die ökonomische Uneinsichtigkeit paart sich zudem mit parteipolitischen Interessen im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Wäre schnelle Handeln seitens der Bundesregierung erforderlich gewesen, gab es einen wochenlangen Schlingerkurs. Die Rettungsaktion für Griechenland nun dürfte als der unprofessionellste bailout aller Zeiten in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Angela Merkel hat durch ihr Wahlkampfgeschacher und -geplänkel nicht nur Griechenlands Krise verschlimmert und die Kosten in die Höhe getrieben, sondern könnte auch einen Flächenbrand in Europa ausgelöst haben, der bald auch Portugal und Spanien und dann Irland und Italien erfassen und die Eurozone in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.

Diese Regierung hat hier wie in wohl kaum einem anderen Feld gezeigt, dass sie keinerlei Verantwortung, Solidarität oder auch nur Einsicht besitzt. Für ein paar Wählerstimmen ist man bereit, Milliardenverluste in Kauf zu nehmen, ganze Ökonomien weiter zu destabilisieren und Zinssätze und Spekulationstätigkeiten anzuheizen. Die Kosten dafür wird die Bevölkerung in Europa tragen müssen, in den betroffenen Ländern und bei uns. Die Beteiligung des IWF an den Rettungsaktionen, auf denen Merkel so bestanden hat, wid noch größere soziale Schäden verursachen und mehr Armut schaffen. Und die Kosten für die Zukunft der europäischen Integration sind kaum absehbar. Aber immerhin kann sich jetzt der Stammtisch freuen, dass WIR es diesen faulen, streikenden, schuldenmachenden, nicht sparen wollenden, korrupten, lügenden, im Luxus prassenden Pleite-Griechen mal so richtig gezeigt haben!

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Rettet Europa vor Deutschland!

Die Bundesregierung scheint weiter unter einer hartnäckigen Form des Dunning-Kruger-Effekts zu leiden. Trotz der von vielen verschiedenen Seiten zu hörenden und gut begründeten Kritik an Deutschlands einseitiger Lohndumpings- und Exportdopings-Politik und ihren negativen Folgen – für Europa, aber auch für Deutschland selbst – will Wirtschaftsminister Brüderle nun eine Außenhandelsoffensive starten. Natürlich, wie es sich für eine schwarz-gelbe Regierung gehört, will man auch der Rüstungsindustrie bei der Auftragsgewinnung helfen und den Export von Atomtechnologie vorantreiben. Auch wenn die gesamte Initiative dabei nicht besonders durchdacht sei (hätte das denn noch wirklich jemand erwartet?), könne sie schon durch ihr unangemessenes Timing und Brüderles “trotzig-arrogante Reaktion auf Kritik” großen Schaden anrichten, schreibt die Financial Times Deutschland. Als ob Deutschlands Brachial-Position zur Griechenland-Frage nicht reichen würde.

Naja, was soll man schon von einer Regierung erwarten, deren Chefin allen Ernstes als einen großen Erfolg angibt, dass die Regierung einen Haushalt verabschiedet hat? Auf wirkliche Einsicht wird man bei Schwarz-Gelb nicht hoffen können, noch weniger auf sinnvolle Taten, wenn Ignoranz und Arroganz zusammentreffen. Nein, die deutsche Regierung hat offenbar vielmehr vor, auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik der Taktik von George W. Bush nachzueifern: wie dieser sich von Gott berufen sah, der Welt ohne Rüksicht auf Verluste “Frieden” mit dem Schwert zu bringen, so ist die Bundesregierung gewillt, Europa, notfalls auch alleine, die Segnungen einer straffen Haushaltsführung und von hohen Unternehmergewinnen zu bescheren, auch wenn dies eine schwächelnde Gesamtwirtschaft, sinkende Löhne, europaweite Instabilitäten und vielleicht selbst den Staatsbankrott eines Landes zur Folge hat (das einzige, was sie daran stören würde, wäre wohl, dass damit der zweitgröße Importeur deutscher Waffen pleite ginge).

Vielleicht bleibt tatsächlich nur noch ein Mittel, um die Ungleichgewichte in der deutschen und der europäischen Wirtschaft zu reduzieren und die Stabilität in Europa zu gewährleisten: Deutschland aus der Eurozone rauszuschmeißen. 😀

Bildquelle:

Anderson Mancini / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

[Auch erschienen beim binsenbrenner.de]

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Wir sind wieder wer!!!

In letzter Zeit hört man nicht viel gutes über Deutschland. WIR verlieren weltweit den Anschluss, wir sind nicht attraktiv genug für ausländische Investoren, unsere Löhne sind zu hoch, ebenso Sozialleistungen und Umweltstandards. Waffen werden verteufelt. Jetzt soll gar der Wehrdienst gekürzt werden! Doch man darf nicht übersehen, dass WIR durchaus einige Erfolge vorzuweisen haben. Ok, manche von diesen nervigen Gutmenschen werden das wieder anders sehen – die können auch nie zufrieden sein. Doch für UNS, die schweigende Mehrheit, ist das allemal ein Grund, die Korken knallen zu lassen.

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Zum ersten: In den letzten 5 Jahren hat sich UNSER Anteil an den weltweiten  Waffenexporte mehr als verdoppelt. Deutschland ist nun drittgößter Waffenexporteur weltweit. WIR sind Vize-Vize-Waffenexport-Weltmeister! Weltweit sind in dieser Zeit die Umsätze mit Waffengeschäften um gerade mal 22% gestiegen. WIR haben es IHNEN also gezeigt! Und dabei gibt es auch keine falsche Zurückhaltung: 55 Länder stehen auf der Lieferliste der deutschen  Waffenhändler, darunter auch so sympatische Staaten wie Malaysia, Jordanien, China, Taiwan, Indien, Iran, Israel, Vietnam und Venezuela. Eine schöne Pointe auch, China und Taiwan oder Israel und Jordanien gleichzeitig zu beliefern! Wenn’s da mal knallt, verdient eine Seite auf jeden Fall: die deutsche Rüstungsindustrie!

Danke Euch, liebe Speerspitze der vaterländischen Wirtschaftskraft, dass weltweit deutsche Waffen gegen Terrorismus, Aufständische und die allgemeine Überbevölkerung kämpfen! Und lasst Euch nichts sagen: was mit Euren Waffen geschieht, das liegt doch gar nicht in Eurer Verantwortung! Wenn man einem Affen eine Pistole gibt, und er erschießt jemanden, schiebt man dann etwa die Schuld auf denjenigen, der ihm die Pistole gegeben habt? Na bitte! Denn wenn es eine ehrliche, anständige, moralische, kurz: eine gute Branche gibt, dann doch wohl die Rüstungswirtschaft!

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Oh, und in noch einem ganz anderen Feld waren WIR erfolgreich: in Deutschland schätzt man die Meinungsfreiheits-Möglichkeiten im Internet weltweit am niedrigsten ein! Wozu auch, wer braucht die schon, diese “Meinungsfreiheit”? Sind doch eh alles linke Demagogen oder Bürgerrechts-Agitatoren und diese ganzen anderen ewigen Querulanten. Bild, Welt und Staatsfunk, was will man denn eigentlich noch mehr? Dem Satz “Das Internet ist ein sicherer Ort, um meine Meinung zu äußern” können bei UNS nur 26 % der Befragten ganz oder teilweise zustimmen. Nicht schlecht! In China liegt man da noch bei 42%. Die haben noch einen weiten Weg vor sich! Ok, zugegeben, ein großer Teil des Verdienstes liegt neben der försorglichen Gesetzgebung unserer obertsen Volksvertreter sicher auch bei der Abmahnindustrie und der Rechtssprechung. Aber eins steht fest: bei UNS ist das Netz sicher!!!1

Ja, WIR sehen es: es ist doch nicht alles schlecht! WIR können durchaus noch auf etwas stolz sein!

Bildquellen:

(1) Bearbeitung von  ProfessorMortis / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

(2) Elias Schwerdtfeger / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

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Die fabelhafte Welt der FDP

Westerwelle und die FDP: ein Fall von Realitätsverlust?

Es kann dieser Tage selbst dem geneigten Beobachter des politischen  Tagesgeschehens schwer fallen, den Überblick über die zahlreichen Fehltritte von Bundesaußenminister und FDP-Chef  Westerwelle zu behalten. Seine Versuche, jede Kritik daran, dass er und seine ganze Partei die Regierung zum Selbstbedienungsladen mit Flatrate machen, selbstherrlich abzutun, zeigen einerseits eine politische Unbeholfenheit, andererseits aber auch eine erstaunliche Realitätsferne. Westerwelle redet von Verleumdungskampagnen und Verschwörungen gegen ihn und vom “linken Zeitgeist”, dessen Opfer er sei. Es ist langsam wirklich zu befürchten, dass er geistig in einer Art Phantasiewelt lebt, falls er ernsthaft daran glauben sollte. Wenn Westerwelle tatsächlich glauben sollte, dass Kritik an seinem Verhalten eine gezielte und v.a. völlig grundlose Kampagne der “Linken” sei und die FDP tatsächlich tönt, dies schade der politischen Kultur in Deutschland oder gar der Demokratie, werden sie dadurch gewiss nur noch mehr Skepsis ernten, ob man sie überhaupt noch ernst nehmen kann.

Heute sprach Westerwelle von einer Kampagne gegen die FDP für eine linke Mehrheit in Nodrhein-Westfalen. Fern von der Frage, wer diese steuern sollte oder warum sich auch liberale Medien daran beteiligen sollten, sieht wohl nur er überhaupt die Chance auf eine solche Regierung in NRW, im Gegensatz zur SPD oder zur Linken. (Obwohl, schön wär es natürlich – man könnte also hoffen, dass hier Westerwelle vielleicht mal Recht behält …) Man sieht hier einen Politiker, der der trotz offensichtlicher Unfähigkeit sich selbst als unersetzlich ansieht, der glaubt, dass seine Klientelpolitik und Günstlingswirtschaft vollkommen gerechtfertigt seien und der glaubt, dass “das Volk” (oder auch gerne: “die schweigende Mehrheit”) tatsächlich auch so denke. Nicht Vetternwirtschaft und Korruption sind unanständig, sondern die Kritik daran? Eine Welt, die auf dem Kopf steht.

Doch er scheint damit nicht einmal alleine zu sein. Zeigten sich ein hartnäckiges Leugnen von Fakten und ein Ignorieren der Realität schon etwa bei den abenteuerlichen Steuerplänen der FDP, so wird nun die ganze Abgehobenheit dieser Partei und ihre Distanz zu in der Gesellschaft vertretenen Werten immer deutlicher. Große Teile der FDP scheinen gar nicht nachvollziehen zu können scheint, warum man Korruption und Vetternwirtschaft nicht gutheißt.  Die FDP verteidigt die Verflechtungen und Seilschaften (um es harmlos auszudrücken) ihrer Politiker mit der Privatwirtschaft gar äußerst vehement. Das sei alles nur der linke Zeitgeist, die Politik müsse der Privatwirtschaft schließlich helfen, “Geschäfte zu machen” (so Westerwelle), und die persönlichen Verbindungen und Netzwerke von Geschäftsleuten und Spitzenpolitikern müssten “akzeptiert werden” (so Lindner). Wenn sich Westerwelle heute gar als “Außenminister der deutschen Wirtschaft” bezeichnet und damit ganz offen sagt, welchen Interessen er dient, sollte selbst dem Letzten die Augen aufgehen.

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Hält Guido durch?

Die Frage, die sich nun stellt und die in vielen Kommentaren aufgegriffen wird, ist, ob Westerwelle sich noch wird halten können, als Außenminister und als FDP-Vorsitzender. Die Frage ist natürlich absolut berechtigt und es ist auch gut, dass diese so oft öffentlich gestellt wird. Ich fürchte aber leider, dass dies der Fall sein und Westerwelle in seinen Ämtern bleiben wird.

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Sicher, derartig katastrophale Vorgänge wie die, die er sich in nicht einmal 6 Monaten geleistet hat, sucht man in den gesamten Amstzeiten seiner Vorgänger vergeblich. Jede diplomatische Zurückhaltung, die das Amt sonst mit sich bringt, scheint Westerwelle nicht zu berühren: unbeirrt arbeitet er daran weiter, seine Ziele, seine Vision einer Welt des Fleißes, der Leistung und der Anstrengung, wie er die “Werte” der FDP selbst beschreibt (ob gerade die selbsternannten “Leistungsträger” sich daran halten, ist natürlich eine andere Frage), mit der Trotzigkeit eines Kindes, das unbedingt seinen Willen durchkriegen will, zu erreichen. Eine Einstellung, die sich auch zeigt, wenn, wo andere beschämt reagieren würden, er aggressiv nach vorne prescht.

Und sicher, selbst in der eher regierungsfreundlichen und liberalen Presse hat er, mit Ausnahme der Springer”presse”, jegliches Vertrauen und jede Unterstützung verloren. So verdeutlicht die FAZ heute etwa in Guido Westerwelle: Der Egonaut, dass  die Bevölkerung und die Journalisten entsetzt sind über seine Hochmütigkeit und seine prinzipienlose Klientelpolitik (schönes Zitat: “Eigentlich muss man sich nicht wundern, dass eine Partei, die in der Oppositionszeit, den Westerwelle-Jahren, dazu überging, den Egoismus als Heilslehre zu predigen, sich nun in der Regierung auch dran hält. Aber für die meisten kam es in seiner unverhüllten Schamlosigkeit dann wohl doch überraschend.”) und wie Westerwelle selbst ohne Not die Diskussionen um ihn immer mehr anstachelte, etwa mit seiner Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger.

Die FDP: korrupt und stolz darauf?

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Aber es sprechen für mich auch viele Punkte dagegen, dass dieser Mann endlich in den verdienten vorzeitigen Ruhestand geschickt wird. Westerwelle hat durch seinen autoritären Stil ja nicht nur in der FDP kaum Konkurrenten zugelassen, die ihn sozusagen beerben könnten. Ich habe eher den Eindruck, dass auch die anderen Protagonisten dieser Partei, v.a. die Minister, eine kaum andere Einstellung haben. Bei diesen Politikern und ihrem Umfeld scheint es sich um eine Gruppe von Personen aus einem verzweigten Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und persönlichen Vertrauten (man könnte sie auch “Klasse” oder “Kaste” nennen) zu handeln, die offenbar völlig den Bezug zu so etwas wie Anstand und Moral verloren haben, die, ganz gemäß der neoliberalen Ideologie, ausschließlich für sich selbst die größtmöglichen Vorteile zu schaffen versuchen – und das auch noch ganz ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Dirk Niebel will ja in seinem Ministerium Westerwelle wohl noch übertrumpfen, und auch Rösler steht ihm kaum nach. So offen wie jetzt wurden wohl noch nie die Besetzung von Regierungsposten aufgrund von Parteiloyalität statt Kompetenz, die Klientelpolitik und selbst eine wirklich ganz und gar offensichtliche Käuflichkeit zelebriert und mit ihnen kokettiert – früher hätte man wenigstens den Anstand gehabt, so etwas heimlich zu tun und sich wenigstens ein paar Pseudoausreden zurechtgelegt, falls etwas auffliegt.

Nun reagieren aber wie gesagt nicht nur Westerwelle selbst, sondern auch andere FDPler überaus aggressiv auf jede Kritik. Müsste Westerwelle aus diesen Gründen gehen, würde damit ja das ganze Seilschaften- und Vetternwirtschaftsnetz, das die FDP charakterisiert (oder, wie sie es ausdrückt, die “Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik”), zur Diskussion stehen. Andererseits, das könnte man einwenden, könnte ein Abgang Westerwelles auch von diesem vordergründig ablenken und man zukünftig darauf achten, dass weniger an die Öffentlichkei dringt. Ein grundsätzlich anderes Verhalten kann man von dieser Partei aber nicht erwarten, solange nicht diejenigen aufstehen, die wirklich aus Überzeugung Politik machen wollen und die wollen, dass diese von Werten wie Ehrlichkeit und politischem Anstand und von politischen Überzeugungen (auch wenn man diese natürlich nicht teilen muss) geprägt ist, und nicht nur dadurch motiviert, für sich selbst, sein Netzwerk oder seine Klasse die finanzielle Situation und die gesellschaftliche Dominanz auszubauen. Falls es solche Menschen in der FDP überhaupt noch gibt. Wann aber, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt gekommen, sich zu zeigen?

Die Union als Profiteur?

Die Koalition wird an dem ganzen Vorgehen jedoch wohl nicht zerbrechen. Was aber sicher folgen wird, ist, da die FDP durch die politischen Amokläufe ihrer Protagonisten ja drastisch an Unterstützung in den Medien verliert, sie auch inhaltlichen Einfluss in der Regierung einbüßen wird. Die FDP wird, um sich nur einen Hauch von politischer Zukunft zu bewahren, einsehen müssen, dass sie inhaltlich um des eigenen Machterhalts willen auf einige ihrer schrill herausposaunten Forderungen verzichten muss. Aber da sie die neugewonnenen Pfründe derart liebgewonnen hat, dürfte sie wohl dazu bereit sein.

Die CDU und die Medien werden die sozialen Einschnitte, die nach der NRW-Wahl kommen werden, so verkaufen, dass man ja froh sein könne, da die FDP ja wesentlich Härteres gefordert habe. Die FDP mag geschwächt sein, doch könnte dieses auch zu einem großen Teil der Union zu Gute kommen, da sie es geschafft hat, viele Schwächen der gesamten Regierung als Schwächen der FDP darzustellen. Eine Kanzlerin jedoch, die einem völlig intolerablen Treiben ihrer Minister, ihrem enthemmten Nepotismus und ihren Ausfällen gegen die Schwächsten der Gesellschaft nicht nur nicht Einhalt gebietet, sondern sie auch nicht verurteilt und ihnen nichts entgegensetzt, trägt ebenfalls einen großen Teil der Verantwortung für die Misere der derzeitigen Regierung. Die Opposition täte gut daran, auch darauf stärker aufmerksam zu machen.

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Bildquellen:

(1) wahlkampf09 / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(2) Frank Kopperschläger / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/

(3) wahlkampf09 / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(4) Merkelizer / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

[Diesen Artikel kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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Dirk Niebel – der schlechteste Bundesminister aller Zeiten?

Guidos Schoßhund wird losgelassen

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Dirk Niebel hatte als neuer Chef des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen unglaublichen Fehlstart hingelegt. Westerwelles marktradikaler Schoßhund, der immer dann von der Leine gelassen wurde, wenn Guidos Tonfall noch zu wenig schrill, noch zu nüchtern und noch zu sachlich erschien, und sich dann als überaus aggressiv und beißwütig entpuppte,  übernahm damit ausgerechnet das Ministerium, für dessen Abschaffung er sich zuvor energisch eingesetzt hatte. Von der fachlichen Kompetenz gab es wohl selten einen Minister, der unqualifizierter war – und sicher keinen, dem sein Ressort so wenig am Herzen lag. Er selbst gab auch zu, “Neuling zu sein” auf diesem Gebiet. So kann man es natürlich auch ausdrücken.

Die ersten Schritte: Hilfsorganisationen drohen, von Spenden abraten, Aufgaben umdefinieren

Und dann ging es los. In den ersten Monaten seiner Amtsführung hat er wohl mehr in einem Ministerium kaputt gemacht als irgend jemand anderes zu vor. Er machte sich mit diversen Drohungen gegen Hilfsorganisationen nahezu alle entwicklungspolitischen Akteure zum Feind – so wollte er etwa Hilfsorganisationenin Afghanistan keine finanziellen Mittel mehr zukommen lassen, wenn sie nicht mit dem Militär kooperieren. Er trat strikt gegen eine Finanzmarktsteuer ein – deren Einnahmen den Entwicklungsländern zu Gute kommen würden. Erst im Januar besuchte Niebel zum ersten mal Afrika – und brachte außer ein paar Fotos, auf denen er mit seiner Militärmütze und der vollverspiegelten Sonnenbrille keine allzu guten Assoziationen hervorbrachte, nicht viel zu Stande. Nach dem Erdbeben in Haiti riet er davon ab, zu spenden.

Er führt in vielem die neoliberale Politik der Washington Consensus-Ära fort, die wegen ihrer verheerenden Auswirkungen selbst bei Weltbank und IWF inzwischen größtenteil in Verruf geraten sind. Und dann polterte er, sein Ministerium sei “kein Weltsozialamt” – er versteht seine Aufgabe in allererster Linie in der Förderung der deutschen Wirtschaft. Neben der Rüstungsindustrie kommt dabei auch etwa die Pharmaindustrie gut weg.

Weniger Entwicklungshilfe: Versprochen, gehalten!

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14 Millionen Euro aus dem Entwicklungsetat stellte er für den Ankauf deutscher Impfdosen zur Bekämpfung der Schweinegrippe in Afrika zur Verfügung – als ob es keine dringenderen Probleme oder eine sinnvollere Verwendung für das Geld gegeben hätte, wendeten etwa Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe ein.

Niebel hatte im Bundestagswahlkampf eine Senkung der Entwicklungshilfe gefordert – und es nun wahrgemacht. Als eines der wenigen Industrieländer löst Deutschland seine finanziellen Zusagen an die Entwicklungsländer nicht ein, beklagt die OECD. Statt 0,51 % stellt es nur 0,4 % seines BIP zur Verfügung. Damit wird man kaum die Zusagen zu den UN-Milleniumszielen einhalten können.

Niebels Ministerium: Parteiloyalität kommt vor Kompetenz

Zudem hat Niebel in seinem Ministerium einen bisher beispiellosen personellen Kahlschlag vollzogen. Fast alle leitenden Posten des Ministeriums wurden mit durchweg unerfahrenen FDP-Parteikadern, vornehmlich Lokal- und Landespolitikern (fachlich oft im Bereich Mittelstandsförderung) besetzt. Die Fachkompetenz fast aller tendiert gegen den Nullpunkt – wie bei ihrem Chef. Vor den Mitarbeitern sagte Niebel offen: “Loyalität kommt vor Fachlichkeit”. Selbst der Personalrat des Ministeriums beklagt jetzt, dass mit nunmehr zehn externen Besetzungen in kurzer Zeit die Grenze erreicht sei, und, ganz diplomatisch ausgedrückt, die institutionellen Kenntnisse und fachlichen Erfahrungen der Mitarbeiter nicht ungenutzt bleiben dürften. Von strategischen Beratungen werden die Fachleute ausgeschlossen, das Besprochene bleibt innerhalb eines Klüngels enger Vertrauter. Und selbst den wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums hat Niebel stillgelegt und will ihn auflösen.

Hauptmann Niebels Nebenverteidigungsministerium

Niebel ersetzt durchweg kompentente Mitarbeiter durch ihm treu ergebene, aber weder entwicklungspolitische Erfahrungen noch Kenntnisse aufweisende Freunde aus der Partei – und “Kameraden” aus dem Militär. Denn nun will Niebel einen alten Bundeswehrkumpel, nämlich den Oberst, der ihm die Deinstschlaufen anlegte, als er zum Hauptmannd der Reserve befördert wurde, zum Abteilungsleiter machen – das Haus brauche mehr Militärkompetenz. Die Militarisierung der Entwicklungspolitik soll jetzt auch personell vollzogen werden. Beide Staatssekretäre und bald sämtliche Abteilungsleiter sind nun ehemalige Parteifunktionäre und Niebelvertraute – nur einer fehlte noch, und das ist eben dieser Posten (Abteilung 03). Doch es kommt noch mehr hinzu: dieser Oberst, Friedel H. Eggelmeyer, war Kommandeur eines Panzerbataillons, das Wehrmachtssymbole als Verbandsabzeichen verwendet. Die “braune Palme” sei “dem Wappen des Panzerregiments 5 des Deutschen Afrika-Korps entlehnt” und solle die Nähe zum Afrika-Corps der Wehrmacht symbolisieren, gibt der “Freundeskreises Panzerbataillon 33” offen zu. Dieser wurde 1989 von Eggelmeyer zusammen mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten gegründet. Und ausgerechnet dieser Oberst soll zukünftig auch noch für die Gebiete Afrika und Naher Osten zuständig sein – ein deutlicheres Zeichen wäre wohl kaum denkbar gewesen.

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Das BMZ als FDP-Geschäftsstelle

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Die Ereignisse der letzten Tage lösen auf allen Seiten der Politik deutliche Kritik aus. Claudia Roth (Die Grünen) warnt davor, das BMZ zu einer “FDP-Geschäftsstelle” und einem “Auffangbecken für alte FDP-Freunde und Bundeswehr-Kameraden”  zu machen, es dürfe keine Klientel-Bedienungsanstalt für den ehemaligen FDP-Generalsekretär werden. Heike Hänsel (Die Linke) bezeichnet Niebel als “Rambo der Entwicklungszusammenarbeit”.
“Bei der FDP werden jetzt viele so lange befördert, bis sie die höchste Stufe ihrer Inkompetenz erreicht haben”, beklagt Sascha Raabe (SPD) die Schaffung von Versorgungsposten. Und selbst CDU und CSU mahnen, man dürfe nicht alle Experten durch persönlich Vertraute ersetzen.

Entwicklungspolitik als Niebelsache

Es ist besonders traurig, dass gerade eine Institution, die ja den Allerbedürftigsten auf der Welt helfen soll, von einem verkommenen Haufen von eitlen Berufskarrieristen, die auch nicht den geringsten Hauch von ethischen Überzeugungen bestitzen, für ihre Vetternwirtschaft missbraucht wird. Niebel ist jede Entwicklungshilfe egal, das hat er immer klar gesagt. Er ist der personifizierte Stinkefinger, der sich den Entwicklungsländern entgegen reckt. Und nachdem er es nicht geschafft hat, dass Entwicklungsministerium und möglichst auch die Entwicklungshilfe komplett abzuschaffen, nutzt er es jetzt, um ein bisschen den deutschen Mittelstand, die deutsche (Rüstungs-) Industrie und die Bundeswehr zu fördern – und als Versorgungspostenlieferant für unqualifizierte FDP-Karrierekader. Versorgungskumpanei und Seilschaften statt Entwicklungspolitik und Hilfe für die Ärmsen der Welt. Er hat es geschafft, jegliche Expertise und Unabhängigkeit aus den oberen Ebenen seines Ministeriums zu beseitigen. So kann man unbehelligt von störendem Fachwissen den neu gewählten Aufgaben nachgehen. Die meisten Wähler stört es ja nicht weiter. Und wenn weltweit Not und Hilfsbedürftigkeit wachsen, ist das für ein Entwicklungsministerium unter FDP-Führung auch nebensächlich, wenn man gerade einen guten Deal für die Privatwitschaft abgeschlossen hat – denn wozu ist man sonst da? So sieht Entwicklungspolitik aus, wenn sie zur Niebelsache geworden ist. Dirk Niebel ist wohl der unfähigste Minister in der Gechichte der Bundesrepublik. Und vielleicht ist er auch der gewissenloseste.

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Bildquellen:

(1) Claus-Joachim Dickow / CC-BY-SA 3.0

(2) Claus-Joachim Dickow / CC-BY-SA 3.0

(3) http://www.flickr.com/photos/dunechaser/ / CC BY-NC-SA 2.0

(4) http://www.flickr.com/photos/11742539@N03/ / CC BY-SA 2.0

(5) Wikipedia (User:Qualle) / CC-BY-SA 3.0 Unported

Dieser Artikel ist auch erschienen beim binsenbrenner.de und beim Oeffinger Freidenker.

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