Gauck, die Linke und Rot-Rot-Grün

Die Nominierung von Joachim Gauck als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten durch SPD und Grüne wurde von der Öffentlichkeit und den Medien insgesamt sehr positiv aufgenommen. Gauck hat sich sicher große Verdienste erworben, er hat wichtige Tätigkeiten durch- und diese auch gut ausgeführt. Er hat gewisse rhetorische Fähigkeiten und man könnte ihn sich schon in einer repräsentativen Funktion vorstellen. Als einen parteiübergreifenden Präsidentschaftskandidaten hätte man sich Gauck gut vorstellen können, aber Union und FDP gaben der Parteipolitik den Vorzug. Er wird sicher einige Stimmen aus dem schwarz-gelben Lager auf sich ziehen und kann diesem damit auch einen politischen Schaden zufügen. Sollte er gar, wovon freilich bei der Dominanz von Parteigehorsam hierzulande nicht auszugehen ist, tatsächlich gewinnen, wäre dies ein äußerst schwerer Schlag für die Bundesregierung.

Vor allem aber ist der Kandidat der Opposition natürlich ein symbolischer Kandidat, bei dessen Nominierung politische und taktische Signale ausgesendet werden. Politisch ist Gauck aber kein linker Kandidat. Er steht nicht für originär linke Überzeugungen und scheint sie auch bei vielen Themen nicht zu teilen.

WELT ONLINE: In der SPD und bei den Grünen wird manches vertreten, was nicht gut zur politischen Philosophie des Joachim Gauck passt. Wie leben Sie damit?
Gauck: (…) Ich weiß wohl, dass in beiden Parteien auch linke Positionen vertreten werden, die nicht völlig zu meinen politischen Grundüberzeugungen passen. Für mich ist der Wert der Freiheit von allergrößter Bedeutung – und das sieht man im linken Spektrum zuweilen doch ganz anders. Dort ist ein Wert wie Solidarität viel wichtiger, und man vertritt eine staatliche Fürsorglichkeit, die mir manchmal viel zu weit geht, nämlich dann, wenn sie entmündigende, entmächtigende Tendenzen fördert.
(Welt.de)

Es ist nicht verwunderlich, dass etwa Welt und FAZ seine Nominierung sehr stark begrüßen, ihn als “bürgerlichen Held” bezeichnen und ihn gar Wulff vorziehen. Gauck äußert sich aber selten politisch, soweit er nicht irgendwie einen Bezug zur DDR herstellen kann. Und gerade hier sind seine ständigen Versuche, alles links der SPD (oder auch, wir erinnern uns, innerhalb dieser) politisch in Stasi-Nähe zu rücken, nicht gerade ein integeres Vorgehen.

Gaucks gewiss nicht unproblematisches Verhältnis zur Partei Die Linke (und umgekehrt) war in den vergangenen Tagen öfter Thema in den Medien. Die taz kommentiert, anstatt wenigstens hier an einem Strang zu ziehen, hätten SPD und Grüne die Linke düpiert. Rot-rot-grüne Annäherungen würden vor allem durch die Art der Nominierung nachhaltig blockiert. Die Tagesschau sieht das ähnlich, begrüßt dies aber naturgemäß. Selbst eine Taktik, bei der die SPD “der Linkspartei die Pistole auf die Brust setze” und die Zustimmung oder Ablehnung Gaucks uminterpretiert auf “Wenn ihr wirklich abgeschlossen habt mit den dunklen Kapiteln der DDR-Vergangenheit, dann müsst auch ihr für Gauck sein” (Zitat Tagesschau.de) begrüßt sie. Hier zeigen die Mainstream-Medien ihre Methoden einmal ungewohnt offen, denn gewiss können wir genau eine solche Interpretation nach der Wahl erwarten. Auch jetzt schon benutzen viele Medien die Gleichung Ablehnung von Gauck = mindestens unklares Verhältnis zur DDR, von der Springer-Presse, bis hin zur Frankfurter Rundschau. Und auch Sigmar Gabriel bereitet bereits den Boden dafür:

Nach der CDU hatte Gabriel auch der Linkspartei Gauck als Kandidaten vorgeschlagen. Er stieß allerdings auf Zurückhaltung. Dies habe ihn sehr überrascht. „Mir fehlt die Phantasie für ein rationales Argument.“ Sollten Teile der Linken Gauck ablehnen, da dieser die Aufklärung der DDR-Vergangenheit vorantreibe, sei dies Grund für eine Neubewertung der Partei.
(Focus.de)

Es lässt sich jedenfalls nicht der Eindruck von der Hand weisen, dass für die Nominierung Gaucks zumindest auch die weitere Abgrenzung von der Partei Die Linke, ohne sich mit politischen Inhalten beschäftigen zu müssen, und die “Schuld” als “DDR-Nostalgiker” und “Stasi-Verharmloser” dann auf diese schieben zu können, ein Faktor war. Spiegel Online schreibt, so sehr Gauck als Stachel ins bürgerliche Lager reichen soll, so sehr sei er ein gewünschtes Signal gegen ein Linksbündnis (was Gauck auch wisse).

Stephan Hebel schreibt auf FR-online.de, dass Gauck zwar “im Umgang mit der Linkspartei die Wirkung der SED-Wurzeln über- und die Lernprozesse der letzten 20 Jahre unterschätzt” habe, er aber kein Geschichts-Relativist sei und um die Relationen wisse. Auch aus strategischen Gründen, für eine rot-rot-grüne Perspektive, solle die Linke Gauck wählen.

Magda Geisler schreibt in ihrem Freitag-Blog, die Nominierung Gaucks sei clever, aber “genau so von machtpolitischen Überlegungen bestimmt, wie das Handeln von Merkel”; jayne schreibt beim Freitag, Gauck sei ein Mann der Vergangenheit, der das in der DDR begangene Unrecht gegen jedwede gesellschaftliche Alternative jenseits der kapitalistischen Wirtschaftsweise instrumentalisiere. Flatter von Feynsinn meint, Gauck spalte den Rest jenseits von Schwarzgelb noch einmal. Der Oeffinger Freidenker schreibt, Gaucks Wahl sei eine deutliche Abfuhr der SPD und der Grünen an die Partei Die Linke und verdüstere die Zukunftsaussichten auf ein Rot-Rot-Grünes Bündnis 2013.

Gauck, so viel ist sicher, ist kein Kandidat, der die politische Linke einigen kann, ganz im Gegenteil. Dabei sollte dies in der derzeitigen politischen Situation aber für SPD und Grüne im Vordergrund stehen, und nicht, ein paar Lorbeeren durch die bürgerliche Presse einzuheimsen.

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Wulff statt Zensursula

Sogar ganz sicher nicht

Christian Wulff wird der Kandidat von Union und FDP für das Amt des Ministerpräsidenten. Damit setzt er sich gegen die eindeutige Yellow-Press-Wunschkandidatin der Mehrheit der Medien, Ursula von der Leyen, durch. Wulff ist sicher der Kandidat, der eher für politische Kompetenz statt nur für die reine Show (Zensursula) steht.

Auch die üblichen “Hauptsache eine Frau, Qualifikation egal”-Stimmen lamentieren bereits. Doch offenbar hat Zensursula dieser Faktor, der für viele einzig im Vordergrund steht, dass sie eine Frau ist, in der immer noch von vielen reaktionären besetzten Union zu heftigen Protesten geführt. So oder so sind beide Varianten natürlich höchst irrational – für so einen wichtigen Posten sollte ausschließlich die Kompetenz eine Rolle spielen. Gerade die fehlende Kompetenz von Zensursula wurde aber in den Medien freilich kaum erwähnt und stattdessen weiter an der Legende gestrickt, dass sie beim Volk beliebt sei.

Urheber: RaBoe/Wikipedia unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Das Überraschendste ist wohl, dass Wulff diesen Posten selbst wollte (und sich – wie ehrenhaft! – auch noch selbst ins Gespräch gebracht hat). Denn von der Position des Bundespräsidenten wird er wohl nicht so viel Einfluss wie in der Rolle als Ministerpräsident und CDU-Parteivize ausüben können. Zudem fällt damit auch noch Merkels letzter verbliebener ernstzunehmender Konkurrent als Bundeskanzler und CDU-Vorsitzender weg – und dadurch wird Merkel auch verkraften können, dass Wulff kein so angenehmer Marionetten-Präsident für sie sein wird, wie Zensursula es gewesen wäre.

Wulff kann man sich aber eher schwer als Bundespräsidenten vorstellen. Als irgendein Minister ja, keine Frage – Wulff schien eher in der aktiven Partei- und Regierungspolitik zu Hause als in der reinen Repräsentation. Und er hat auch sicher nicht das Charisma oder den Status eines altehrwürdigen Intellektuellen wie die meisten seiner Vorgänger. Nein, Wulff ist ein reiner parteipolitischer Kandidat, mit vollständig neoliberalen Überzeugungen. Gerade in den Zeiten der Wirtschaftskrise ist er genauso ungeeignet wie Horst Köhler es war, auch wenn er sicher politisch geschickter vorgehen wird.

http://www.flickr.com/photos/21827032@N08/3267260966 unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Durch die Nominierung von Joachim Gauck haben SPD und Grüne einen würdigen Gegenkandidaten aufgestellt, für den – auch abseits von politischen Positionen – sicher mehr als Präsidenten sprechen würde als für Wulff. Jedoch dürfte er kaum eine Chance haben. Jemand, der “versöhnen statt spalten” kann, ist er allerdings sicher nicht. Diese Personalie könnte auch ein Signal für eine weitere Abkehr von Rot-Rot-Grün sein. Wird die Linke, wovon auszugehen ist, Gauck nicht mitwählen, kann man zusammen mit den Medien wieder die Stasi-Keule auspacken. SPD- und Grünen-Spitze würden dann wieder einmal echte Möglichkeiten auf eine andere Politik erschweren.

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Der Rücktritt Köhlers: eine erste Analyse

Horst Köhler tritt also zurück, weil man seine Worte genauso verstanden hat, wie er sie gesagt hat: dass er Kriege Deutschlands für seine wirtschaftlichen Interessen befürwortet. Und das verstößt nun mal gegen das Grundgesetz. Und das Völkerrecht. Dies aufzuzeigen und zu kritisieren ist nicht nur notwendig in einer freiheitlichen Demokratie -wenn dies nicht geschieht, kann man wohl kaum von einer Demokratie sprechen. Ein “Respekt” vor einem Staatsamt, der bedeutet, solche furchtbaren Ansichten (auch wenn Köhler vielleicht nur etwas ausgesprochen hat, was viele in de Politik denken) einfach verschwiegen werden, würde sich wohl nicht mehr viel von einem blinden Gehorsam in einem autoitären System unterscheiden. Und bei diesen Äußerungen hätte die Kritik sogar noch deutlich härter ausfallen können. Dass die ganze Sache zuerst im Internet, in den Blogs, publik wurde und lange von den Mainstream-Medien ignoriert wurde, verdeutlicht deren wichtige und wachsende Rolle im öffentlichen Meinungsbildungsprozess.

Darüber, ob Köhler vielleicht in dem Interview etwas ausgesprochen hat, was er nicht wollte, kann im Moment nur spekuliert werden. Die Taktik der letzten Tage, dass er nur falsch verstanden wurde, war ein relativ erfolgloser Rehabilitationsversuch. Die Äußerungen waren deutlich genug: aus wirtschaflichen Interessen muss man Deutschalnd auch Kriege führen. Ob das jetzt speziell auf die Lage in Afghanistan bezogen war, war da eher eine Detaillfrage. Sicher hat Köhler jedoch festgestellt, dass er in einer öffentlichen Debatte, in der offen für Wirschaftskriege eingetreten wird, nur verlieren kann. Daher ist sein Rücktritt aus politischen Gründen nachzuvollziehen. Die Ursache aber ist der Inhalt seiner Äußerungen, sind seine Ansichten, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind und die ihn gerade für das höchste Staatsamt disqualifizieren. Wahrer Respekt vor dem Grundgesetz, und auch vor dem Amt eines Bundespräsidenten, zeigt sich gerade, indem man darauf beharrt, dass dieser zu den Kerninhalten der Verfassung stehen muss.

Freilich wird nun die Debatte über die Auslandseinsätze Deutschlands mit den üblichen Gründen weitergehen können und Köhlers Aussagen nur als “kleine Fehlinterpretation” dastehen. Deshalb gilt es, dieses Thema nicht zu vergessen, und darauf aufmerksam zu machen, dass am Horn von Afrika derzeit ein schon Krieg für die Wirtschaft des Nordens geführt wird. Köhler mag gegangen sein, aber der Inhalt seiner Äußerungen ist leider nur allzu wahr.

Link zum Thema:

Köhler erklärt Rücktritt (Oeffinger Freidenker)

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Das hat der Horst doch nicht so gemeint!

Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

Wurde diese Aussage Köhlers zunächst nur von Blogs und dann auch dem Freitag thematisiert, ist nun auch die Mainstream-Presse auf das Thema gekommen und Spiegel Online (hier und hier), die Frankfurter Rundschau, die Financial Times Deutschland, die Süddeutsche und selbst die Tagesschau und die Welt berichten heute. Sie tun dies in erster Linie wohl, da sich Vertreter von verschiedenen Parteien zu Wort gemeldet haben. Solch ein Thema selbst aufzugreifen wäre wahrlich zuviel an kritischem Journalismus. Und so hält man sich auch mit eigenen Kommentaren zurück, und auch die nachträgliche Selbstzensur des Deutschlandradios wird natürlich auch nirgendwo erwähnt.

Was sagen nun die Parteien zu Köhlers Aussage? Die CDU versucht, Köhlers eigentlich recht klare Worte als „etwas missverständlich“ darzustellen. Er hat das ja  gar nicht so gemeint, sich vielleicht nur etwas ungeschickt ausgedrückt. Krieg für freie Handelswege? Klar, gute Sache, immer doch, gibt’s ja z.B. auch am Horn von Afrika! Aber dafür braucht man „selbstverständlich immer ein klares völkerrechtliches Mandat“ – soo einfach geht’s ja nun auch nicht! Wenn’s das aber gibt, ist alles in Ordnung. Und in Afghanistan ist das ja schließlich was ganz anderes, da geht’s um die internationale Sicherheit und Stabilität. Wollte der Host ja auch so sagen. Muss er vielleicht noch mal ‘nen Rhetorik-Kurs besuchen, das ist alles. So, nun reicht’s aber auch mit der Kritik, ist ja schließlich unser Staatsoberhaupt, und das sollte man „möglichst nicht kritisieren“!

Eine nicht ganz überzeugende Ausrede, besagt doch schon die „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion (2008):

Krisenhafte Entwicklungen, Terrorismus oder gewaltsame Konflikte in Lieferländern können unsere Versorgung mit Energie und Rohstoffen gefährden und unserer Wirtschaft Schaden zufügen. […]

Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc. Bereits heute wird die Bundeswehr eingesetzt – beispielsweise mit der Beteiligung an OEF am Horn von Afrika oder an Active Endeavour im Mittelmeer.

Da könnte die Union eigentlich klarer zu ihren Aussagen stehen, die Köhler jetzt nur in seiner Rolle als Bundespräsident – ungeachtet ihrer Gundgesetz- und Völkerrechtswidrigkeit – wiederholt hat. Natürlich weiß man auch bei der CDU, dass man der Öffentlichkeit eher langsam klar machen sollte, dass man von ihr erwartet, sich für die wirtschaftlichen Interessen des Landes (oder derer, die dort bestimmen), aufzuopfern. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Zynisch wie eh und je reagiert die FDP. Köhlers Äußerungen seien ein „Appell, die hierzulande etwas hausbackene Debatte über Sicherheitspolitik zu weiten“. Wenig erstaunlich, dass die ehemalige Bürgerrechtspartei FDP, die sich längst zum bedingungslosen Büttel des Kapitals gemacht hat, internationales Recht als veraltete und moralingesäuerte Sentimentalität ansieht. Man wird doch mal darüber reden dürfen, Kriege für die freie Marktwirtschaft zu führen!

Nun, so denkt man aber, müssten diese Aussagen doch eine Steilvorlage für die Opposition sein. Menschen dürfen nicht für die Interessen von Großkonzernen sterben, könnte man rufen, „unsere Jungs“ sollen nicht fallen, damit die deutsche Außenhandelsquote steigt, könnte man fordern, „Kein Blut für Geld!“ könnte man skandieren. Man könnte – ja durchaus naheliegende – Vergleiche zu George W. Bush ziehen, warnen, dass von Deutschland nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Ankreiden, dass die Privatwirtschaft nach Rettungsschirmen aus Steuergeldern in dreistelliger Milliardenhöhe nun auch Menschenleben fordert, um ihre Gewinninteressen durchzusetzen. Man könnte vielleicht auch so weit gehen, dass ein Bundespräsident, der so offen nationales und intenationales Recht und die Würde des Menschen verachtet, nicht tragbar ist.

Hier hätte man durchaus ein wichtiges und öffentlichkeitswirksames Thema, wo die Opposition sich klar profilieren könnte als eine, die nicht mit Menschenleben jongliert für eine Rückkehr eines deutschen Großmachtstatus. Die Aufmerksamkeit wäre sicher, und der Versuch, eine solche Politik vor dem Wähler zu rechtfertigen, wäre auch bei Mitarbeit der einschlägigen Medien und Think Tanks eindeutig zum Scheitern verurteilt.

Aber was tut die Opposition? Die Linke spricht wenigstens relativ klare Worte – aber das war politisch wegen ihrer kompletten Ablehnung von Militäreinsätzen nicht anders zu erwarten und wird nicht gerade ein politisches Erdbeben auslösen.

Aber, der SPD-Seeheimer Thomas Oppermann hat tatsächlich nicht mehr zu Köhlers Äußerungen zu sagen, als dass dieser der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr schade (bei solch einer Rechtfertigung der Einsätze etwa nicht völlig zu Recht?) und – offenbar die größte Gefahr! – „der Linkspartei das Wort rede“?  Und auch Oppermann sagt, in Afghanistan gehe es nicht um Wirtschafts-, sondern um Sicherheitsinteressen. Nüchtern und abseits von politischen Parolen betrachtet geht es wohl weder ausschließlich um das eine noch um das andere – aber was ist etwa mit dem Einsatz am Horn von Afrika? Wenn man wirklich keine Wirtschaftskriege wollte, wie Oppermann sagt, warum geht man dann nicht stattdessen gegen die elenden Zustände in Somalia vor – warum bekämpft man nicht entwicklungspolitisch die Ursachen, sondern militärisch die Symptome? Wenn jetzt auch das Bundespräsidialamt entgegnet, der Afghanistan-Einsatz sei nicht gemeint, sondern z.B. die Operation Atalanta, dann macht es das ja nicht besser. Es wird ja zweifelsohne zumindest ein Militäreinsatz allein für wirtschaftliche Interessen der Industrieländer durchgeführt. Der vorrangige Einwand sollte doch sein, dass man so etwas ablehnt, und nicht, ob es nun speziell in Afghanistan der Fall ist.

Die Grünen sagen, dass die Äußerungen ein „gefährlich falsches Verständnis von Auslandseinsätzen“ entlarven würden und Köhler „offenbar in Unkenntnis über die ausführliche Debatte um den Afghanistaneinsatz“ rede. Soll entweder heißen: Köhler hat nur nicht ganz verstanden, worum es bei den Einsätzen wirklich geht. Wirtschaftliche Interessen? Wie kommt der nur darauf? Da muss er aber noch einiges dazulernen! Das wäre wohl aber eher unwahrscheinlich. Oder will es nicht vielmehr meinen: der Bundespräsident hält sich nicht an den verabredeten Code, die etablierte Rechtfertigungslinie: es geht darum, Brunnen zu bohren, Schulen zu bauen und den Afghanen Demokratie und Frauenrechte zu bringen. Außerdem wird unsere Sicherheit permanent duch afghanische Terroristen und somalische Piraten gefährdet. Und die Region könnte destabilisiert werden, und dann kommen noch mehr Terroristen zu uns. Nur darum geht es! Köhler spricht aus, was man nicht aussprechen darf! Die Wahrheit ist zu gefährlich!

Nein, Köhlers Äußerungen zu Kriegen aus wirtschaftlichen Interessen sind vielleicht nicht das einzige Erklärungsmuster für die derzeitigen Einsätze der Bundeswehr. Aber sie lassen eine extrem gefährliche Tendenz in der deutschen (und der EU-) Politik zum Vorschein kommen, die als eine menschenverachtende, chauvinistische Politik, die mit Gewalt die weltweiten Ungleichgewichte bewahren, die Ausbeutung fortsetzen und die Macht der Industrieländer und ihrer „Eliten“ zementieren will, bekämpft werden muss.

http://www.youtube.com/watch?v=sioJMpjNLQU

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Der bewaffnete Handelsreisende

Von Frank Benedikt

Nun hat er es also selbst ausgesprochen: „Deutschland [müsse] mit seiner Außen-handelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen.“ Er, das ist Horst Köhler, seines Zeichens das formelle Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und somit ihr oberster Repräsentant. Anläßlich einer Stippvisite im deutschen Camp in Masar-i-Scharif verkündete der Bundespräsident im Anschluß das Ende der Friedens- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik, die die Väter des Grundgesetzes nach den Schrecken der Nazi-Zeit aus gutem Grund in selbigem festschrieben.

Endlich ist auch der „Sparkassendirektor“ dort angekommen, wo deutsche Thinks Tanks sich bereits seit Jahren befinden: bei der Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen in aller Welt und nicht nur bei der Verteidigung von „Deutschlands Sicherheit“ am Hindukusch. Schon in 2006 forderten, getragen vom BDI, deutsche Wirtschaftsvertreter nötigenfalls bewaffnete „Rohstoffsicherung“, es wurde immer wieder nachgelegt und im Jahre 2009 stellte gar die Körber-Stiftung fest, daß Deutschland ja nun wieder eine „Großmacht“ sei und sich entsprechend zu verhalten habe. Kurzum – das deutsche Staatsoberhaupt propagiert gegebenfalls den bewaffneten Kampf um Ressourcen, Handelswege (z.B. -> TRACECA), Pipelines und Märkte. Ist dies noch die „gute alte BRD“ oder doch schon wieder „Deutschland“?

Herr Köhler vermag diese Frage wohl nicht zu beantworten, sondern leistete sich bei seinem Besuch bei der Truppe lieber einen weiteren Lapsus, zweifelte er doch ihre Einstellung an. Immerhin wurde er danach von einem US-Offizier getröstet, der den üblichen Optimismus und den Glauben an den „Endsieg“ hochhielt, was der Bundespräsident dann den deutschen Soldaten zum Vorwurf machte, nämlich daß diese wohl nicht den richtigen Kampfgeist besäßen. Irgendwie erinnert das schon fast an die berüchtigte „Hunnen-Rede“ Wilhelms des Zwoten, der anläßlich des Boxeraufstands in China einst von „Pardon wird nicht gegeben.“ sprach.

All dies riecht (nicht nur für den Autor) nach Neokolonialismus oder „Kolonialismus 2.0″, denn die „Kanonenboote“ schippern längst wieder vor dem Horn von Afrika und anderen Küsten herum, auch wird eine vermeintliche Einigkeit der westlichen „Kulturmächte“ propagiert, die doch schon zunehmend brüchig erscheint, da die – wie manche Autoren es nennen – „Verteilungskämpfe“ begonnen haben und jeder sich da selbst der Nächste ist. „Sicherung der Nachschublinien“? Kampf gegen den Terror“? Terreur? Quel terreur? Der, den wir verbreiten, oder der, der auf uns zurückfällt, da wir an anderen Orten der Welt mit Gewalt die „Grundlagen unserer Gesellschaft“ zu sichern versuchen? Die Zeiten werden zunehmend wieder „interessant“ …


Anmerkung Guardian of the Blind:

Das Original-Zitat von Köhler aus dem Interview lautet:

Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern , die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

Es muss wohl kaum erwähnt weden, dass diese Aussage des Bundespräsidenten allen Maßstäben des Gundgesetzes und des Völkerrechts, ja allen Vorstellungen von Menschenechten überhaupt diametral widerspricht. Das Militär soll weltweit eingreifen, Menschen müssen sterben für die Interessen des Kapitals, für das Wohl einer kleinen Oberschicht in ein paar Ländern. Durch Armut und Hunger in Folge ungerechter Handelsbeziehungen und fortgesetzter Ausbeutung, und durch die Hand von Soldaten. Die Wirtschaft soll nicht für den Menschen da sein, sondern der Mensch für die Wirtschaft. Er soll für sie leben, töten und sterben.

Genau diese Stelle hat Deutschlandradio übrigens aus der Audioversion des Interviews nachträglich entfernt (die vollständige Version ist aber noch online zu finden). Ein Schelm, wer böses dabei denkt!

Links zum Thema:

Fefe
Sebastian Glas Trainings
Stackenblochen
Tastendrescher
Der Freitag
SZenso

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Der “Dritte Weg”: Vorstellung und Wirklichkeit

Dieter Rulff singt in einem taz-Artikel, in dem es eigentlich um die Koalition in NRW gehen sollte (Rot, Rot, Grün und die Koalitionsfrage: Nur auf Bewährung), ein Loblied des “Dritten Weges”. Sprachlich in einem sehr merkwürdigen Stil und mit einigen unverständlichen Formulierungen und eigenwilliger Semantik verfasst, scheint der Artikel auf jeden Fall eher daraufhin ausgelegt, vordergründigen Eindruck zu schinden als inhaltlich zu überzeugen. Der ganze Artikel versucht, sich die – für viele gescheiterte – “Neue Mitte”-Politik noch einmal, sich selbst seiner Richtigkeit versichernd, schönzureden. Dies, indem er neben der Verwendung von rhetorischen und auf positiven Emotionen abzielenden Mitteln, die negativen Seiten des Dritten Weges ausblendet oder sie einfach als diesem nicht anzulastend auf andere schiebt. Dabei schlägt er alle möglichen Fortschritte andererseits dem Dritten Weg zu, merkt jedoch wohl gar nicht, wie er sich selbst in Widersprüche verwickelt.

Nun ist diese Mitte kein sozialer Ort, sondern markiert die Deutungshoheit über Diagnose und Behandlungsweise gesellschaftlicher Probleme. Insofern war die Übertragung von Anthony Giddens Politik jenseits von rechts und links auf deutsche Verhältnisse der zunächst erfolgreiche Versuch der SPD, die Stagnation der Ära Kohl zu überwinden.

Was Rulff zu dem ersten Satz bewegt hat, weiß wohl nur Rulff. “Politik jenseits von links und rechts” ist natürlich ein Schlagwort, es ist aber kaum zutreffend. Im Grunde ist die Politik von Anthony Giddens ein in der Tat in ihren Grundvorstellungen und -ideen (der Begriff wird hier bewusst nicht als Schlagwort gebraucht) eine, wenn auch gemäßigte und sozial ausstaffierte, neoliberale Politik. Die Grundzüge dieses Weges, und damit soll den Anhängern dieser Politik kein Unrecht widerfahren, sind weg vom “vorsorgenden”, hin zum “aktivierenden” Wohlfahrtsstaat, weg von der Sozial-, hin zur Bildungspolitik, weg von der sozialen, hin zur Chancengleichheit orientiert. Der Staat soll in diesem Konzept von vorneherein dafür sorgen, dass Armut nicht entstehen kann, indem er allen eine möglichst gute Ausbildung gewährt, und im Falle von Arbeitslosigkeit sollen die Betroffenen schnell wieder eine neue Beschäftigung finden.

Diese Punkte sind ja zweifelsohne begrüßenswert, aber sie sind nicht auseichend, sondern nur ein Ausschnitt dessen, wofür die Sozialdemokratie seit je her eingetreten ist. Sie sind die Punkte, auf die sich auch Liberale und Neoliberale einlassen, denn mit einher gehen die Vorstellungen, dass ein Wohlfahrtsstaat, der (z.B. bei Arbeitslosigkeit) für eine ausreichende Existenzsicherung sorgt, den Ansporn, sich eine neue Arbeit zu suchen, mindert, die Menschen in Arbeitslosigkeit verharren lässt usw. (hier wurden die neoliberalen Vorstellungen zu diesem Thema übernommen). Man ist ausschließlich selbstverantwotlich und der Staat nur dazu da, “unverschuldet in Not geratene” (und das gilt bei Arbeitslosigkeit nicht) abzufangen und bei Arbeitslosigkeit gerade noch den Lebensunterhalt zu sichern, dies aber verbunden mit einer Arbeitspflicht (Workfare). Zudem, und hier ist der größte Bruch mit der Sozialdemokratie, sei soziale bzw. Verteilungsgerechtigkeit schädlich, da sie Anreize mindere. Daüber hinaus wird dem Staat keine Rolle im Wirtschaftsablauf eingeräumt, er soll sich möglichst weit zurückziehen und möglichst viele Bereiche der Gesellschaft den Marktmechanismen überlassen.

Die Umsetzung von Giddens Politik besteht daher neben dem Ausbau der Bildungseinrichtungen in erster Linie aus der Senkung von Sozialleistungen, der Verbindung von Arbeitslosengeld mit der Pflicht zu nicht oder niedrig bezahlten öffentlichen Tätigkeiten, umfangreichen Privatisierungen und Deregulierungen und dem Ende von umverteilenden Maßnahmen, z.B. durch die Senkung von Unternehmens- und Spitzensteuern. Im Grunde ist das viel bejubelte Konzept von Giddens das, was eine wirtschaftsliberale Partei fahren würde, wenn sie ehrlich und frei von Klientelinteressen wäre, plus noch Gesundheitsversorgung für alle (denn diese sollte – auch bei Giddens – nicht vom Einkommen abhängen), versehen mit einem sozialdemrokatischen Etikett. Es ist eine Ideologie der Chancen und der Eigenverantwortung, es misstraut den Vorstellungen der Gleichheit und der sozialen Sicherheit. In ihm ist der Mensch egoistisch und auf sich alleine gestellt, in ihm gibt es keine Solidarität.

Unterschieden sich die politischen Ansätze unter Kohl und Schröder im wirtschaftlichen und sozialen Bereich inhaltlich auch nicht so sehr, so  geht Rulff auf das Tempo der Umsetzung ein und besetzt dieses positiv, so, wie der ursprünglich positiv assoziierte Begriff “Reform” als Schlagwort für Sozialabbau-Gesetze inflationär gebraucht wurde. Stagnation bedeutet in diesem Falle eher, dass die Sozialabbau-Maßnahmen nicht in einem ganz so atemberaubenden Tempo duchgeführt wurden wie insbesondere nach der Agenda 2010. Aber – durch den Satz soll natürlich die Assoziation mit der muffigen Kohl-Ära geweckt werden, die erst durch den frischen Wind der rot-grüne Koalition abgelöst wude. Das ist sicher bei vielen Gebieten, zutreffend aber nicht bei der Umsetzung der Dritten-Weg-Maßnahmen. Damit sollen positive Erinnerungen verbunden werden, alles, was Rot-Grün Positives rhervobrachte, ist natürlich dem Dritten Weg zu verdanken. Auch hier ist dieses rhetorische Mittel klar:

Vier strukturelle Veränderungen markierten diese Politik: Das “Modell Deutschland” der Unternehmensverflechtungen und des Korporatismus wurde für die globalisierte Wirtschaftsstrukturen geöffnet, die Energiewende sowie eine Einwanderungspolitik wurden eingeleitet und der Arbeitsmarkt von der Statussicherung auf Aktivierung umorientiert.

Die Öffnung der Deutschland-AG muss man von zwei Seiten betrachten. Einerseits führte sie zum Abbau von Seilschaften, Vetternwirtschaft und kartellartigen Absprachen. Andererseits war das Mittel dafür die Liberalisierung der Finanzmärkte. Den Abbau von Mitbestimmungsrechten und die Schwächung der Tarifparteien als Öffnung für die globalisierte Wirtschaft (der sich vemeintlich alles und jeder unterordnen muss) zu verkaufen, erfordert schon viel Phantasie. Energiewende und Einwanderungspolitik haben nun wirklich nichts mit dem Dritten Weg zu tun. Die Umwandlung der Arbeitslosenversicherung (und nicht des Arbeitsmarktes) allerdings schon. Doch was bedeutet “Statussicherung” und “Aktivierung”? “Statussicherung” meint, dass die Sozialleistungen zumindest auf einem ähnlichen Niveau wie der vorherige Verdienst sind, also einkommensabhängig. “Aktivierung” klingt gut und wäre es wohl auch, wenn damit mehr Weiterbildungsmaßnahmen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik verbunden wären, beinhaltete aber in Deutschland nur eine Senkung dieser und bestand fast nur aus gesenkten Sozialleistungen und der Pflicht zur Annahme fast jeder Arbeit, mit der Drohung, sonst unter das Existenzminimum zu fallen.

Letzteres gilt noch heute in der SPD als Sündenfall und als Geburtsstunde der Linken. Dabei erwies sich das Konzept, wie das Beispiel der nordeuropäischen Staaten und die Entwicklung des Arbeitsmarktes zeigen, als richtig, der Staat versagte (und versagt) allerdings bei der Betreuung, Vermittlung und vor allem bei der Qualifizierung der Arbeitslosen.

Genau hier liegt der Punkt: In Dänemark und Schweden etwa sind Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sehr hoch. Das Arbeitslosengeld in Dänemark liegt auf dem zweithöchsten Niveau OECD-weit – nach den Niederlanden, die ein ähnliches Modell haben. In beiden Staaten, gefolgt von Schweden, sind zudem die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik mit Abstand am höchsten. Gerade dadurch konnten enorme beschäftigungspolitische Erfolge in diesen Ländern erzielt werden, und dazu eben ein sehr hohes Maß an sozialer Sicherheit und eine sehr egalitäre Einkommensverteilung. Siehe auch: Europäische Lehren für den deutschen Arbeitsmarkt: Flexibilität und Sicherheit sind vereinbar. Der Dritte Weg jedoch ist nur Flexibilität,  jedoch ohne Sicherheit.

Auf die dabei aufgeworfene Gerechtigkeitsfrage konnte die Regierung Schröder schon deshalb keine glaubwürdige sozialdemokratische Antwort mehr geben, weil sie zuvor bei der Unternehmens- und Einkommenssteuerreform ohne strukturelle Notwendigkeit eine massive Umverteilung nach oben vorgenommen hatte. Das hatte wenig mit dem Dritten Weg, aber viel mit neoliberalem Zeitgeist-Opportunismus zu tun (…)

Den Dritten Weg könnte man durchaus mit guten Gründen als einen eindeutig neo-liberalen betrachten. Ein Ende der Umverteilung ist dabei durchaus ein Schritt auf dem Dritten Weg.

Mit dem vorläufigen Scheitern des FDP-Steuerkonzeptes ist die neoliberale Angebotspolitik in die Defensive geraten. Das bedeutet jedoch nicht, dass nun wieder eine klassische Nachfragepolitik zum Zuge kommt. Eine linke Politik, die jeden Akt des Konsums mit dessen vermeintlich wirtschaftsfördernder Kraft legitimiert, wird schnell mit deren begrenzter Wirkung in einer entgrenzten Welt konfrontiert sein – wie es sich zuletzt an der Abwrackprämie erwiesen hat.

Angebotspolitik ist neoliberal, und wird deshalb auch im “Dritten Weg” verfolgt. Und – der Fairness halber: selbstverständlich ist nicht jeder “Akt des Konsums” zu begrüßen. Die Abwrackprämie ist in der Tat fraglich (einseitige Subvention einer bestimmten Branche usw.), aber konjunkturell erfolgreich war sie ja zumindest. Mittel wie höhere Sozialleistungen und Löhne, sowie öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen wären aber eher zu begrüßen. Dass diese die in Deutschland extrem niedrige Binnennachfrage insgesamt erhöhen und für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen würden, kann auch nicht mit dem verbrauchten Argument von der globalisierten Weltwirtschaft und den “Grenzen nationalstaatlicher Politik ” (fehlt nur noch das “konjunkturpolitische Strohfeuer”) bestritten werden.

Rulffs Beitrag ist einer, wie man sie um die Jahrtausendwende zu Hunderten gelesen hat. Einer, der eine Politik des Dritten Weges  rechtfertigen, ihren Kern eines neoliberalen Umbaus der Gesellschaft verschleiern und verhüllen will (und sich sogar des Wortes “neoliberal” bedient, um die negativsten Aspekte dieses Modells einer angeblich anderen Richtung anzulasten). Er wirft mit Buzz-Words und Standardfloskeln um sich und kann dennoch hinter allen hochtrabend klingenden Formulierungen nicht verstecken, was er wirklich ist: der Ausdruck eines zeitgeistig-opportunistischen Gesinnungswandels, wie ihn der ehemalige Marxist Giddens mustergültig vorexerziert hat.

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW: erfolgreich verlaufen

Bereits nach 11 Tagen sind also die Träume fast aller Mainstream-Medien, der Wirtschaft und gewiss auch des rechten Flügels der SPD wahr geworden: SPD und Grüne werden in Nordrhein-Westfalen keine Koalition mit der Linken bilden.

Aus der Schilderung der Themen des Treffens ist der Verdacht, dass es sich um Alibi-Gesprächen gehandelt habe, zumindest nicht einfach von der Hand zu weisen. Dass ausgerechnet das Verhältnis zur DDR als Hauptargument für ein Ausschlagen einer Zusammenarbeit genannt wurde, und dass dieses Thema v.a. seit letzter Woche Montag nach einer extrem polemisierenden Report Mainz-Sendung beständig durch alle Medien lief, macht die Tragweite der Medienkampagne gegen eine rot-rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen deutlich. Die Grundrichtung der allermeisten deutschen Medien war klar: Rot-Rot-Grün darf es in einem westdeutschen Bundesland nicht geben. Schwarz-Gelb hat aufgrund der unverantwortlichen und diletantischen Nepotismus-Politik der FDP an Attraktivität verloren, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün (man beachte die massiven Kampagnen vor der NRW-Wahl!) heißt das Gebot der Stunde für die deutschen Journalisten.

Am engagiertesten gegen Rot-Rot-Grün in NRW traten die ARD und die Springer-Presse sowie Focus, Süddeutsche, FAZ, Zeit und Stern ein. Hier war ein geradezu missionarischer Eifer zu beobachten. Selbst für offene Beleidigungen war man sich nicht zu Schade. Berichterstattung und Meinung wurden dabei konsequent nicht getrennt. Weniger aggressiv, aber auch einseitig waren die Berichte und Kommentare von Tagesspiegel, WAZ und Financial Times Deutschland. Differenziertere Berichte und verschiedene Positionen waren bei Spiegel und Spiegel Online, der Frankfurter Rundschau und der Taz zu finden. Die Argumente gegen eine rot-rot-grüne Koalition waren aber auch dort die gleichen:

Zunächst standen Punkte aus dem Linken-Programm wie Verstaatlichungen von Energiekonzernen oder “Recht auf Rausch” sowie das “chaotische” und “als radikal geltende” Personal im Vordergrund. Letztere Argumentationslinie wurde nach der genannten Report Mainz-Sendung die dominante. Und sie lieferte dem rechten SPD-Flügel die Argumente, die er in der öffentlichen Debatte brauchte, um eine Koalition mir der Linken als unmöglich darzustellen, mit der als Tatsache dargestellten Behauptung, dass sich bei der Linken v.a. Extremisten, DDR- und Stasi-Anhänger und Verfassungsfeinde befänden.

Sollte es tatsächlich so sein, so wurden auf jeden Fall bisher, wenn man genau hinschaut, keine überzeugenden Argumente geliefert. Weder der verkürzt dargestellte Aufruf der Sozialistischen Linken, noch die Ablehnung des generellen Gebrauchs des rechtlich und historisch nicht klar definierten Begriffs “Unrechtsstaat” oder die Tatsache, dass der Verfassungsschutz schwarz-gelber Länder bestimmte Organisationen beobachtet (ohne Argumente für deren Verfassungsfeindlichkeit zu liefern, die einer genauen Betrachtung standhalten) können hier eine entsprechende Antwort liefern. Aber natürlich ist es auch verständlich, dass relativierende und ausweichende Statements etwa zur Stasi eine fahlen Eindruck hinterlassen, wenn nicht auch mehr. Zweifelsohne ist das Personal der Linken in NRW nicht das politisch oder rhetorisch geschickteste.

In der Tat sind also die Positionen mancher Linken-Politiker in NRW, auch jenseits der Verzerrungen und Falschdarstellungen der Medien, problematisch. Problematisch ist aber auch, wenn die DDR das Hauptthema bei diesen Koalitionsgesprächen darstellen soll. Doch keine Frage, diese Frage muss auch behandelt werden, und eine Koalition mit Leuten, die tatsächlich die DDR für einen Staat halten würden, den man sich wieder wünscht, kann nicht in Frage kommen. Die Darstellungen über die Gespräche zum Thema DDR unterscheiden sich derzeit zwischen SPD und Linken – war die Linke nun bereit, die DDR als Diktatur zu bezeichnen oder nicht? Worin bestanden genau die Probleme, die die SPD beim Verhältnis der Linken zur DDR, zur Demokratie oder zum Staat gesehen hat? Die nächsten Tage werden hoffentlich Klarheit bringen.

Zu deuten, die Gespräche seien so schnell beendet worden, da Kraft, “anders als die Hessin Andrea Ypsilanti, die Macht offenbar nicht um jeden Preis” wolle, wie Spon es tut, ist eine Möglichkeit – aber schon ziemlich naiv. Ein anderes Deutungsmuster wäre aber vielleicht, dass Teile der SPD gar nicht “den Preis hochtreiben” wollen für eine Große Koalition, sondern den linken Flügel und dessen Positionen gezielt kleinhalten wollen und mit einer Kompromisspolitik aus SPD- und CDU-Linie ganz zufrieden sind, soweit sie gesellschaftlich nicht zu verkrustet ist und wirtschafts- und sozialpolitisch der “Reformlinie” folgt. Auch die Möglichkeit einer gemeinsamen und wirksamen rot-rot-grünen Oppositionslinie und einer entsprechenden Koalitionsmöglichkeit im Bund ist somit freilich geschwächt, und eine Fortsetzung der SPD als Agenda-Partei und Anhängsel der CDU wird wahrscheinlicher. Und das wäre einigen in der SPD wohl nicht gerade Unrecht.

Landespolitische Inhalte waren bei den Sondierungsgesprächen indes nur Nebensache, wirklich wichtige Themen wie Studiengebühren und Schulpolitik wurden gar nicht besprochen. Da die zunächst im Zentrum der medialen Kritik stehenden Punkte Verstaatlichung von E.ON und RWE oder die Abschaffung von Hartz IV von der Linken ja nicht als zwingende Bedingung bezeichnet worden waren und sie nur noch forderte, keinen Sozial- und Stellenabbau und keine weiteren Privatisierungen vorzunehmen, wurden Sozialabbau und v.a. Stellenabbau im öffentlichen Dienst in den Medien konsequent als alternativlos dargestellt (keine Frage, wären es andere Punkte gewesen, hätte die Presse kein Problem gehabt, dann gerade diese als Forderungen darzustellen, die man “ja nun wirklich nicht” erfüllen könne). Dass gerade dieser Wegfall von öffentlichen Stellen, in einem ersten Sondierungsgespräch (!), für ein komplettes Scheitern der Gespräche verantwortlich sein soll, wie dies die Grünen schildern, ist natürlich nahezu grotesk.

Ernüchternd ist auch, dass offenbar selbst den Grünen eine Große Koaltion lieber ist als eine rot-rot-grüne Koalition. Die Grundfesten der derzeitigen wirtschaftsliberalen Politik dürfen offenbar um keinen Preis angetastet werden. Gerade in Zeiten, in denen erst die Finanz- und jetzt die Euro-Krise wirtschaftspolitische Grundfragen in den Vordergrund rücken, müssen alle klein gehalten werden, die für alternative Entwürfe eintreten würden, ob die Partei Die Linke oder die linken Flügel von SPD und Grünen, oder inzwischen selbst Teile der CDU. Zudem darf der als alternativlos dargestellte Sparkurs nicht gefährdet werden, für den die immer noch in der Angebotspolitik verhafteten Politiker eintreten. Die Krisen bieten dabei den gelungenen Vorwand für weiteren Sozialabbau. Einzig die Möglichkeit von Steuererhöhungen ist freilich so von dieser Welt, dass sie nicht ins Auge gefasst werden kann. Aber etwa Steuererhöhungen oder Belebung der Wirtschaft durch höhere Sozialleistungen und öffentliche Beschäftigung sollen gar nicht erst als politische Option in Frage kommen.

Keine Frage, die Medien werden in den nächsten Tagen helfen, der Öffentlichkeit zu versichern, dass der Abbruch der Gespräche die einzige verantwortungsvolle Lösung für unser Land war. Bei den kommenden Koalitionsgesprächen der SPD mit der CDU werden die enormen inhaltlichen Unterschiede kleingeredet werden, womöglich wird ein Amtsverzicht von Rüttgers als das entscheidende Zugeständnis der CDU dienen. Mit Neuwahlen wäre der SPD wohl kaum geholfen, sie wird einer Großen Koalition zustimmen. In einer Großen Koalition wird es in Nordrhein-Westfalen freilich leichter sein, die Interessen der großen Player durchzusetzen: Kohlesubventionen, Sozialabbau, Beibehaltung des sozial selektiven Schulsystems und vielleicht auch der Studiengebühren, das sind die zentralen Punkte, warum in NRW keine rot-rot-grüne Koalition entstehen durfte. Und nicht ein paar versprengte DDR-Nostalgiker.

Link zum Thema:

SPD sieht “keinen Sinn”: Rot-rot-grüne Sondierung gescheitert (Der Freitag)

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

Gestern abend also haben SPD und Grüne, bereits nach den ersten Sondierungsgesprächen, den Entschluss gefasst, keine Koalition mit der Linken zu bilden. Hier sind aber zunächst einmal die Beobachtungen der vorausgegangenen Medien-Kampagne gegen Rot-Rot-Grün von dieser Woche bis zu den Sondierungsgesprächen:

Tag 8 (Montag, 17. Mai):

Machtpoker nach der Wahl: Wo die rot-grün-roten Untiefen in NRW lauern (Welt.de)

Zunächst wieder Punkte wie “vom Verfassungsschutz als bedenklich eingestufte” Organisationen und DDR-Äußerungen. Dann:

Wie unberechenbar die Partei bleibt, demonstriert der schriftliche Aufruf eines „parteinahen Bildungsvereins“, der auf der Homepage der NRW-Linken zu lesen ist und den auch der Linken-Landtagsabgeordnete Michael Aggelidis unterzeichnet hat. Darin werden hohe Hürden für eine Regierungsbeteiligung aufgestellt: „Aber schon die Zustimmung zu einem sozialdemokratischen Haushalt, der weiteren Sozialabbau bedeutet und die Privatisierungen der letzten Jahre nicht zurück nimmt – oder gar ein Tolerierungsvertrag oder eine direkte Einbindung in eine solche Regierung – würde jede emanzipatorische Rolle der Linken unweigerlich zerstören“, heißt es in dem Aufruf. Die Unterzeichner fordern stattdessen eine Regierung, „die Ernst macht mit der Umverteilung von oben nach unten, die die Interessen der Menschen über diejenigen des Privateigentums an den großen Produktionsmitteln und an den Banken stellt, und die einen Prozess einleitet hin zu einer Gesellschaft, die nicht mehr vom Profit, sondern von den Bedürfnissen und der ökologischen Verantwortlichkeit geleitet wird“.

So etwas ist harter Stoff für das geplante Sondierungsgespräch.

→ So sollen also extrem hohe Hürden aussegen? Kein Sozialabbau, keine Umverteilung nach oben, Interessen der Gesellschaft statt des Kapitals beachten? Zudem: es handelt sich ja nur um einen Aufruf eines parteinahen Vereins, und nicht um die Position bei den Sondierungsgesprächen, wo die Hürden der Linken deutlich niedriger liegen und auch eindeutiger sind (s.u.).


Tag 9 (Dienstag, 18. Mai):

NRW: Linke zum Gesinnungstest (Focus.de)

Zwei Tage vor den Sondierungen zwischen SPD, Grünen und Linken werden die Zweifel an einer erfolgreichen Zusammenarbeit lauter. Vor allem die Motive der Linken werden in Zweifel gezogen.

→ Dumm nur, dass in dem Artikel kein einziges Wort (!) zu den zweifelhaften Motiven der Linken fällt, stattdessen die Positionen von Edgar Moron (das Original-Interview mit Moron übriges bei Spon: NRW-Koalitionspoker: Kraft-Vorgänger warnt SPD vor Linksbündnis), der schon in der Vergangenheit durch dezidierte Angriffe auf die Partei Die Linke auffiel:

Darin sind auch Spinner, Sektierer und Leute, die in irgendwelchen politischen Kleinstgruppen waren. Darin sind Querulanten, Leute, die in unseren Parteien nicht haben Fuß fassen können, weil sie ein gewisses querulatorisches Potenzial haben.

Sie alle sind darin. Es ist im Augenblick ein Chaosverein.

Außerdem in der Presse:

Nordrhein-Westfalen: Sondieren für den Nachruhm (FAZ.net)

Die Linke versucht schon mal handzahm daher zu kommen.

→ Suggeriert: sie kommt nur so daher, in Wiklichkeit ist sie ganz gefährlich – und beißt vielleicht sogar!

Kein Wort will der Landesvorsitzende darüber verlieren, dass die Linkspartei noch vor kurzem wild entschlossen war, es sich in der Opposition gemütlich zu machen, um vor allem auf Kosten der SPD weiter zu wachsen und im Zweifelsfall immer Recht zu behalten.

→ Nein, unglaublich, eine Partei, die wachsen will! Und vielleicht auch noch Wählerstimmen gewinnen? Wo kämen wir da nur hin??? Was ist nur aus unserer Demokratie geworden? Und dann will sie auch noch Recht behalten und nicht im Unrecht sein?! Was erlauben die sich?!

Dann kommen noch Begriffe wie “Sektierertruppe”. Aber v.a. immer manipulative Formulierungen: die Linke sagt nicht, sie “behauptet”, sie ist nicht, sie “präsentiert sich”.  Alle unehrlich, verlogen, falsch!

Hinzu kommt, dass die Linkspartei ihre zentralen, je nach politischer Opportunität auslegbaren Maximalforderungen als unverhandelbar ansieht. Immer wieder betonen sowohl Zimmermann als auch Frau Schwabedissen, der Sozial- und Stellenabbau müsse beendet werden. Freilich gibt es in Nordrhein-Westfalen ganz unabhängig von der aktuellen Finanzkrise nur dann eine Chance, die katastrophale Haushaltslage in den Griff zu bekommen, wenn der Staat massiv spart.

→ Inwieweit die Forderungen kein Sozial- und kein Stellenabbau beliebig auslegbar sein sollen, wird nicht ersichtlich. Eigentlich sind das doch relativ klare und leicht überprüfbare Kriterien. Und freilich gibt es natürlich auch noch, auch wenn das die FAZ bestreitet, 1. die Möglichkeit, wonanders als (wie immer) beim Sozialsystem zu sparen, oder 2. die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Es sind politische Entschiedungen, und bei diesen gibt es immer Alternativen.

Dann kommt in dem Artikel wieder der unvollständig zitierte Aufruf mit dem “legitimen Versuch”, die Ablehnung der generellen Bezeichnung der DDR als “Unrechtsstaat”, die Rote Hilfe und der PKK-Nahesteh-Verdacht.


Tag 10 (Mittwoch, 19. Mai):

Nach der NRW-Wahl: Krafts Lehren aus Ypsilantis Scheitern (Zeit Online)

Auch in NRW scheiterte der Ampel-Versuch letztlich. Kraft mag weniger schnippisch formuliert haben als Ypsilanti. Allerdings: Ein faires, Gesicht wahrendes Angebot unterbreitete auch sie der FDP nicht.

→ Bitte? Was für ein Angebot denn überhaupt? Die FDP hat ja noch nicht einmal mit der SPD gesprochen? Und würde denn die SPD ihr Gesicht wahren, wenn sie sich von der FDP erpressen ließe, mit wem sie sprechen dürfe, nur um die Gunst der Verhandlungen mit ihr zu erlangen?

Denn da sind eben auch noch die Linken, diese Chaos-Brüder und “Extremisten”, wie man sie schon in Hessen nannte.

→ Wohlgemerkt: Chaosbrüder steht nicht in Anführungszeichen.

Tatsächlich aber hätte die Linke wohl nichts gegen eine Eingewöhnungsphase in der Opposition, wo sie erfahrungsgemäß besser wachsen kann denn als kompromissbereite Regierungspartei.

→ Die Zeit weiß wohl mal wieder besser, was die Linke will, als die Linke selbst. Zumindest, was sie wollen sollte, wenn es nach der Zeit ginge.

Eine weitere Beobachtung der Kommentare der letzten Tage: Nachdem es zuerst in den meisten Medien hieß, vielleicht könnte gar die SPD die Ministerpräsidentin stellen oder man sich auf eine Ablösung einigen (2 Jahe jeweils), hieß es dann zunächst, es komme nur eine Koalition mit der CDU in Frage. Jetzt wird agumentiert, oder vielmehr gefordert, dass diese dann auch Rüttgers führen müsse.

Tag 11 (Donnerstag, 20. Mai):

SPD-Koalitionspoker: In NRW entscheidet sich Gabriels Zukunft (Spon)

Doch hinter der Skepsis Gabriels dürfte noch ein anderes Kalkül stecken: das der Glaubwürdigkeit. Noch immer leidet die SPD unter dem Hessen-Debakel Andrea Ypsilantis. Ihr Wortbruch besorgte der SPD den Ruf, der Macht im Zweifel nicht widerstehen zu können. Manche im Willy-Brandt-Haus fürchten, dass sich dieser Ruf verstärken könnte, sollten Hannelore Kraft und die NRW-SPD tatsächlich ein Linksbündnis wagen. Ließen die Düsseldorfer Genossen aber die Option liegen, obwohl sie rechnerisch möglich ist, entstünde neue Glaubwürdigkeit, so das Kalkül. Und die Früchte könnte man 2013 ernten.

→ Diese Interpretation ist wohl möglich. Möglich ist aber auch, dass die SPD Glaubwürdigkeit einbüßt, wenn sie die Chance, eine grundsätzlich andere Politik zu gestalten, wobei es inhaltlich auch nach eigenen Aussagen kaum Probleme geben dürfte, aufgibt, um wieder zum Juniorpartner der CDU zu werden.

NACHTRAG:

„Nicht regierungsfähig“: Was die NRW-Linken so gefährlich macht (Handelsblatt.com)

Zu deutlich wenden sich die SED-Nachfolger gegen Grundprinzipien der Verfassung. Handelsblatt Online zeigt was der Verfassungsschutz anprangert. (…)

Nicht nur wegen ihrer Ablehnung des Verfassungsschutzes wird die Linkspartei von diesem beobachtet.

→ Ob man die Ironie dieser Aussage nicht selbst bemerkt? Dann kommen Vorwürfe, die natürlich nie belegt werden: ein angeblich fehlendes Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, die kühne These, dass ein sozialistisches Wirtschaftssystem nicht ohne Missachtung von Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorstellbar sei und die absurde Agitation, dass das sozialistische Menschenbild nicht mit der Idee des selbstbestimmten Inidividuums vereinbar sei. Das klingt eher wie eine anti-sozialistische Programmschrift aus dem 19. Jahrhundert oder Parolen aus dem FDP-Programm. Anstatt wissenschaftlich vozugehen, haut man hier die wirklich billigsten Vorurteile raus, wo jeder, quch jeder nicht links orientierte Politikwissenschaftler oder Philosoph nur in ungläubiges Staunen, wenn nicht in schallendes Geläüchter ausbrechen müsste.

Dann kommen wieder übliche Vorwürfe: die Distanz zu als linksextremistisch und gewaltbereit eingeschätzten Gruppen fehle (dabei genannt: Kommunistische Plattform und Marxistisches Forum), das Verhältnis zu DDR und SED (weil man nicht das Wort “Unrechtsstaat” benutzt), dann, das die PDS SED-Vermögen besitze, und schließlich die nicht verfassungsfeindliche Forderung nach Verstaatlichungen, die den Verfassungsschutz aufhorchen ließe.


Zur voherigen Woche:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 1

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 2

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Nach Tag 1 und Tag 2 ging die Meinungsmache in den Medien gegen eine rot-rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen auch in den darauffolgenden Tagen weiter. Hier die Beobachtungen von Tag 3 (Mittwoch, 12. Mai) bis 7 (Sonntag, 16. Mai):

Tag 3 (Mittwoch, 12. Mai):

Hart aber fair stellt sich ganz klar in die Reihe plumper Anti-Rot-Rot-Grün-Kampagnen. Natürlich war von jeder Partei ein Politiker zu Gast. Außer von der Linken. Naja, es ging ja nur in einem recht großen Teil der Sendung (um was ging es da eigentlich? Unklar. Von allem ein bisschen, kein klares Thema) auch um sie. Nein, dass bei solch einem Thema alle Parteien außer der, über die am meisen diskutiert und gegen die v.a. polemisiert wird, nicht eingeladen ist, halte ich für einen medienpolitischen Skandal.

V.a. Moderator Plasberg bediente sich aller Mittel der Meinungsmache gegen Rot-Rot-Grün, die schon zahlreiche Medien in den vergangenen Tagen verwendet hatten, sowie mehrerer direkter und auch persönlicher Angriffe (auf die Linke und auf Hannelore Kraft). Mittel waren z.B. der Vergleich mit Ypsilanti, die Bezeichnung von Krafts Äußerungen vor der Wahl als “Tarnfloskeln”, Sätze wie “Glauben Sie wirklich, dass die Wähler so dumm sind?”, Ausschnitte aus der Report Mainz-Sendung, die Rote Hilfe. Die einzigen inhaltlich angesprochenen Punkte waren die Frage des Verhältnisses der NRW-Linken zur DDR und zur RAF. Andere Theme, so Plassbeck, müssten da doch im Hintergrund stehen.

[Anmerkung: Ich habe nie verstanden, was Hart aber fair groß von anderen Sendungen wie Anne Will oder Maybrit Illner unterscheiden soll. Es ist doch auch meist die selbe einseitigen Systemmedien-Propaganda, auch wenn der Moderator nicht ganz der unkritische Stichwortgeber ist.]

Naja, weiter ging es im Internet im Hart aber fair Faktenchek:

Daniel Bahr, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, sagt, in NRW wird die Linke nicht nur als Partei vom Verfassungsschutz beobachtet. Selbst einzelne Personen des Landesverbandes stünden unter Beobachtung. Stimmt das?

Andreas Blätte: Grundsätzlich beobachten die Verfassungsschutzämter gegen die politische Ordnung des Grundgesetzes gerichtete Bestrebungen bei politischen Organisationen. Ohne die Beobachtung der Aktivitäten von Einzelpersonen kann dies nicht erfolgen. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht (März 2010) werden extremistische Zusammenschlüsse als wichtiger Bestandteil der Partei “Die LINKE” gesehen. Dort heißt es unter anderem: “Bis heute hat sich der Landesverband NRW der Partei ‘DIE LINKE’ nicht von eindeutig linksextremistischen Zusammenschlüssen in seinen Reihen getrennt, sondern deren organisatorische Zulässigkeit sogar bestätigt. Dies gilt auch für die Mitglieder trotzkistischer Gruppen, die durch ihre Mitarbeit in der damaligen WASG in die ‘DIE LINKE’ gelangten. Durch die Mitgliedschaft von Sarah Wagenknecht im Landesverband wurden die extremistischen Bestrebungen, insbesondere die ‘Kommunistische Plattform’, weiter gestärkt.”

→ Das hier aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert wird, ist ja legitim im Hinblick auf die Frage. Andererseits hätte man durchaus noch wenigstens den Hinweis bringen können, dass die Linke nur in Ländern mit schwarz-gelber Regierung beobachtet wird und dass ein Auftauchen in einem Verfassungsschutzbericht noch lange nicht Verfassungsfeindlichkeit beweist. Siehe auch: Ist die Linke verfassungsfeindlich?

Über die Sendung berichete auch noch die Springer-Presse: Late Night “Hart aber fair”: Hannelore Kraft sitzt in der Ypsilanti-Falle (Welt.de)

Die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft wirkte bei “Hart aber fair” tatsächlich so, als wolle sie mit den Linken eine Koalition anstreben. Ein Wortbruch, der schon Andrea Ypsilanti in Hessen das politische Genick brach. (…)

Der Eindruck verstärkte sich auch bei „Hart aber fair“, dort verliefen die Fronten klar zwischen den Bürgerlichen und den Linken. Eine Jamaika-Koalition oder die Ampel schienen praktisch ausgeschlossen und alles wirkte so, als ob die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft tatsächlich ein Bündnis mit den Erben der SED anstrebt. (…)

Mit wem sie sich da einzulassen gedenkt, führte Frank Plasberg Hannelore Kraft anschaulich vor. Sieben der elf Abgeordneten gehörten extremistischen Gruppen an, berichtete der Moderator (…) „Ausloten“, „sondieren“ und „erstmal abwarten“ wollte Kraft trotzdem und erinnerte mit ihrer wachsweichen Beliebigkeit ein wenig an ihre hessische Kollegin Andrea Ypsilanti. (…)

→ Wieder die üblichen Mittel: Vergleiche mit Andrea Ypsilanti, SED-Nachfolgepartei, einfach in den Raum geworfene Vorwürfe (“extremistische” Gruppen).

Jörges erinnerte daran, dass auch Joschka Fischer und Otto Schily als Straßenkämpfer beziehungsweise RAF-Anwalt begonnen und sich später zu respektierten Politikern gemausert hätten. Als Argument für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei taugt das jedoch nicht, denn regierungs- und koalitionsfähig wurden Fischer und Schily erst, nachdem sie sich glaubhaft von den Dummheiten ihrer Jugend verabschiedet hatten.

→ Als Anwalt zu arbeiten ist also eine Jugenddummheit? Und was sind denn die derzeitigen “Dummheiten” genau?


Außerdem in den Medien am Mittwoch:

Sondierungsgespräche in der kommenden Woche: Rot-Grün lädt zu Gesprächen (WDR.de)

Auch die Fraktionsvorsitzende der NRW-Grünen, Sylvia Löhrmann, wollte Gespräche mit der Linken nicht grundsätzlich ausschließen. Man müsse in den anstehenden Gesprächen herausfinden, ob die Linkspartei regierungs- und handlungsfähig sei. Dazu gehöre, ob sie von ihren Vorstellungen wie der Zerschlagung des Schulsystems in NRW, der Verstaatlichung von Energieunternehmen oder der Abschaffung des Verfassungsschutzes Abstand nehme, sagte Löhrmann im ARD-“Morgenmagazin”: “Wenn die Linkspartei nicht bereit ist, sich klar demokratisch aufzustellen, dann kommt sie als Partner nicht in Frage.”

(Inzwischen steht auf der Site ein anderer Text. Zuvor war dort jedoch das Zitierte zu lesen.)

→ Man muss viele Punkte wie Verstaatlichungen nicht gut finden und kann sie auch als alles mögliche bezeichnen – antidemokratisch sind sie gewiss nicht. Wie sieht es mit den Forderungen zum Schulsystem aus?  Ein Jahr länger oder kürzer gemeinsame Schulzei soll den entscheidenden Unterschied machen?


Sondierung in NRW: Kraft vergrault die FDP (Focus.de)

→ Angesichts der Erpressungsstrategie der FDP und ihrem selbst gewählten Ausstieg aus Gesprächen ist eine solche Überschrift an Dreistigkeit wohl kaum zu überbieten.



Tag 4 (Donnerstag, 13. Mai):

Grünen-Chef Özdemir zu NRW: “Das wird kein Zuckerschlecken” (Spon)

SPIEGEL ONLINE: Dennoch müssen Sie den Menschen in NRW erklären, dass die Grünen plötzlich mit einer Partei wie der Linken verhandeln, die man zuvor als nicht regierungsfähig definiert hatte.

Özdemir: Wir haben eigentlich zwei nicht regierungsfähige Parteien: Linkspartei und FDP. Eine Partei, die über die Kopfpauschale einen Spitzensteuersatz von über 70 Prozent nötig machen würde, aber gleichzeitig unbelehrbar weiter irgendwie die Steuern senken will – ist die ernsthaft regierungsfähig? (…) Beide – FDP und Linke – brauchen gute Aufpasser an ihrer Seite.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt nach großen Mühen. Ist die Opposition da nicht die bessere Alternative?

→ Özdemir versucht in dem Interview seinen NRW-Parteikollegen zu “erklären”, dass sie eine Koalition mit FDP oder linken gleich schlimm finden müssten. Der Fragesteller ergreift außerdem relativ eindeutig Partei. Bei Schwarz-Rot, so die intendierte Botschaft, gäbe es die “Probleme” nicht.

SPIEGEL ONLINE: Regieren die Grünen in Düsseldorf in NRW mit, heißt das für die CDU Opposition. Das Ende des schwarz-grünen Projekts?

→ Was für ein schwarz-grünes Projekt denn? Und wieso sollte es wegen einer Landesregierung das Aus bedeuten? Sollen hier bei Anhängern einer solchen Koalition Befürchtungen geweckt werden?


Koalitionscheck: Wer kann mit wem in NRW? (FR-online.de)

Rot-Rot-Grün

Doch nicht nur extreme Linken-Forderungen nach einer “Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien” und der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wären schwer mit den Partnern vereinbar. Auch wollen SPD und Grüne die Studiengebühren schrittweise, die Linkspartei aber sofort abschaffen.

→ Es dürfte relativ klar sein, dass die Linke nicht alle Forderungen würde umsetzen können, v.a. die beiden zuerst genannten Punkte. Beim dritten Punkt wäre es wohl angeraten, auf ihre Forderung einzugehen, auch damit SPD und Grüne eine Glaubwürdigkeit behalten.

Prognose: Bei den SPD-Funktionären in Nordrhein-Westfalen gibt es zwar Sympathien für Rot-Rot-Grün. Im Berliner Willy-Brandt-Haus möchte man diese fragile Konstellation aber keinesfalls ausgerechnet mit den besonders radikalen NRW-Linken ausprobieren. Würde das Bündnis nämlich scheitern, wäre die Machtperspektive für 2013 im Bund verbaut.

→ In der Meinung mancher im Willy-Brandt-Haus sicher richtig, allerding würden Worte wie “in ihren Augen” das deutlich machen. So steht es da, als wäre es ein objektiver Fakt.


Leitartikel: Experiment mit Rot (FR-online.de)

In diesem Artikel wird zwar letztendlich für Rot-Rot-Grün argumentiert, allerdings werden auch ein paar Argumentsmuster der Gegner von Rot-Rot-Frün gebraucht. V.a. die Linke müsse sich ändern, so die Botschaft. Freilich kann man, wenn es keine rot-rot-grüne Koalition geben sollte, leicht auf die linken “Betonköpfe” als Rechtefrtigung zurückgreifen.

Nicht nur beim Cannabis, sondern auch in Sachen Berechenbarkeit steht die FDP in diesen hektischen Tagen dem linken Antipoden also nicht nach. Dieser verlegt sich darauf, in schönster Allgemeinheit einen “grundlegenden Politikwechsel” zur Bedingung einer rot-grün-roten Koalition zu erklären. Ob dafür die SPD gleich das ganze Linken-Programm übernehmen müsste, einschließlich “Vergesellschaftung” der Energiekonzerne, 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und Neubewertung der DDR-Vergangenheit, bleibt vorerst unklar. (…)

Die Landes-SPD muss schon sehr genau hinschauen, mit wem sie sich da einlässt. Und sie muss in Verhandlungen genau bestimmen, ob sie diesen Partner domestiziert bekäme.

→ Die häufig geäußerte Ansicht, dass die Forderungen radikal seien usw. ist ja aus mancher Position nachvollziehbar. Aber woher kommt eigentlich das mit der Unberechenbarkeit? Glaubt man wirklich, dass die Linke nicht auf eine Koalition eingehen würde, wenn nicht alle ihre Forderungen erfüllt werden (dann wären allerdings einige Vorwürfe berechtigt)? Und heißt domestizieren nur, die wirklich radikalsten Forderungen nicht umzusetzen und Einbindung in die Regierungsarbeit, oder heißt es Einbindung in die neoliberale “Neue Mitte”/ “Dritter Weg”-Politik?

Tag 5 (Freitag, 14. Mai):

Die Süddeutsche hat inzwischen offensichtlich auch die Report Mainz-Sendung gesehen:

Die neue Linke-Fraktion in NRW – Die Spitze des Wahnsinns

Beuermann rangiert auf Platz 22 der Erstunterzeichner des Gründungspapiers der sozialistischen Linken. Darin stehen auch diese Sätze. “Die DDR war ein legitimer Versuch, auf deutschem Boden eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen. Sie hat beachtliche Erfolge in der Herstellung sozialer Gerechtigkeit, im Bildungswesen und der Erwerbstätigkeit der Frauen erreicht.”

→ Dass die DDR ein Versuch war, eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen, kann ja nicht bestritten werden. Ob er legitim war, kommt darauf an, für wen, welche Kriterien man anlegt usw. Auf jeden Fall ist er gescheitert. Und auf manche Erfolge etwa in der Bildungspolitik oder bspw. bei Krippenplätzen wird heute von vielen Seiten, nicht nur von DDR-Nostalgikern, verwiesen. Dämonisierungen nützen genauso wenig wie Glorifizierungen.

Aber v.a., was die Süddeutsche nicht zitiert, der Text geht noch weiter:

Auf der anderen Seite stehen jedoch auch die Unterdrückung von Opposition und der Mangel an Rechtsstaatlichkeit. Gescheitert istdie DDR letztlich an mangelnder Demokratie und ineffizienter Ökonomie.”

Dies wirft ein vollkommen anderes Bild auf, als das, was die Süddeutsche zu zeichnen versucht. Weiter in ihrem Artikel:

Von den Reportern gefragt, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, antwortet Böth freimütig: “Insgesamt, in toto, kann man das, glaube ich, so nicht sagen. (…)

→ Hier gilt es aber ebenfalls zu differenzieren bei solch einem zutiefst unklaren Begiff. Meint man die formale Gültigkeit und Verfolgung von Rechtsnormen, kann man sicher nicht sagen, dass die DDR generell ein Unrechtsstaat war. Macht man aber die Gültigkeit von elementaren Menschen- und Bürgerrechten zum Maßstab, kann man da mit guten Gründen anderer Meinung sein. [Ich bin es auch. In der DDR wurde nach einem Rechtssystem gehandelt, aber dieses ist an sich – politisch und ethisch – zu kritisieren, stellte zwar vielleicht Recht, aber keine Gerechtigkeit dar.] Pauschale Antworten sind auf komplizierte Fragen nicht einfach zu geben (allerdings schadet sich die Linke mit solchen und ähnlichen Äußerungen immer wieder selbst, und die Einstellungen dahinter sind in manchen Fällen wohl durchaus höchst problematisch).

Weiterhin wird über von der Bundesregierung oder einer Verfassungsschutzbehörde des Bundes oder eines schwarz-gelben Landes als “linksextremistisch” bezeichneten Organisationen berichtet (Rote Hilfe, Antikapitalistische Linke). Und es gibt den Vorwurf, dass drei Abgeordnete der PKK nahestünden; dann relativiert sie, dass zumindest zwei die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland “Ye-Kom” (eigentlich YEK-KOM) unterstützten, die laut Süddeutsche “als eine Art legaler Arm der PKK in Deutschland agiert” – und dass diese gar offen zur Wahl der drei Linken-Politiker aufgerufen habe! Sollen sie es ihr verbieten oder was? Weiter dann:

Ein solches Bündnis ließe sich ohnehin nur mir viel Mühe schmieden. Die Linke hat dafür hohe formale Hürden gesetzt. Bevor es zu Koalitionsgesprächen kommen kann, muss ein Sonderparteitag das Vorhaben absegnen. Später müsste ein Koalitionsvertrag erst einen Mitgliederentscheid überleben.

→ Oh nein, innerparteiliche Demokratie, so etwas mag die “Wir brauchen endlich wieder Führungsstärke!”-Presse gar nicht.

Sozialdemokraten und Grüne, denen noch immer nicht die Lust an einer Zusammenarbeit mit der Linken in NRW vergangen ist, sollten sich einige Wahlplakate der Linken aus dem Landtagswahlkampf in Erinnerung rufen. Was da stand, kann nicht gerade als Bewerbung für ein rot-rot-grünes Linksbündnis gewertet werden. “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten”, heißt es auf einem Plakat. Auf einem anderen: “Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern.”

→ Hier zeigt sich der Artikel offen wie sonst kaum einer als reine Meinungsmache, als plumpe Agitation gegen Rot-Rot-Grün.

Antiferengi schreibt dazu:

Thorsten Denkler von der Süddeutschen, sieht in der LINKENspitze in NRW die Spitze des Wahnsinns und versucht diese nach Bildzeitungsmanier ins Lager der Extremisten und DDR-Gläubigen tot zu analysieren. Dabei knüpft er gängige und vom neoliberalen Lager seit Jahrzehnten gepflegte Volksängste an Allgemeinplätze wie SED, DDR und RAF, – die wie Stichworte dem unbewussten Automatismus dieser Ängste auf die Sprünge helfen sollen. Gekonnt konstruiert er Assoziationen, welche einem Guido Westerwelle alle Ehre des Demagogentums das Wasser hätte reichen können. Aber Denkler ist kein Demagoge. Er ist ein armer Kerl der nur noch das hören will, was ihn seit jahrzentelangem Meinungskonsum selber verführt hat. Zu armselig sind seine Platitüten, mit welchen er in Manier eines Hexenjägers Personen und Allgemeinplätze zu einem Schreckgespenst versucht zu konstruieren.



Und allerdings, es ist erstaunlich, aber die Bild tut sich fast schwer, die Süddeutsche noch zu überbieten: Verfassungsschutz: 7 Mitglieder der Linkspartei-Fraktion werden überwacht

Denn sieben der neuen Abgeordneten unterhalten intensive Kontakte zu eindeutig extremistischen und vefassungsfeindlichen Organisationen.

→ Wären sie wirklich eindeutig extremistisch und verfassungsfeindlich, würden sie verboten. Und würden tatsächlich alle Organisationen verboten, die eine Verfassungsschutzbehörde überwacht, gäb es in Deutschland einen massiven Shift nach rechts und in Richtung autoritärer Staat.

Michael Aggelidis (47, Jurist) aus Bonn, bekennt sich zur „Antikapitalistischen Linken“, einer ultralinken Strömung innerhalb der Partei. Sie stellt laut Verfassungschutz die Systemfrage.

→ Ok, schauen wir doch mal in den Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen (S. 61):

Die Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus zugunsten eines demokratischen Sozialismus‘allein ist noch nicht zwingend extremistisch. Das Grundgesetz sieht keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor, solange die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), die freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte (Art. 12 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14GG) gewährleistet sind.

Die Umsetzung der systemverändernden bzw. -überwindenden Ansätze in den Positionen der Bundes- und der Landespartei in Gänze ist aber ohne die Missachtung zumindest einzelner Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kaum vorstellbar. ‘DIE LINKE*‘ stellt jedenfalls programmatisch die „Systemfrage“, ohne ein alternatives System zu beschreiben, das mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

→ Solche Relativierungen liest man immer wieder beim Verfassungsschutz. Ich würde wirklich gerne wissen, wo denn die FDGO genau verletzt werden soll bzw. welche der im ersten zitierten Absatz dargestellten Grundsätze wie verletzt würden. Entweder kann man oder will man diese Frage nicht beantworten (denn dann gäbe es kaum eine Legitimierung mehr, die Linke zu überwachen).


Ach ja, und der bei Report Mainz gezeigte DDR-Flagge-Hisser und “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!”-Sänger war gar nicht von der Partei Die Linke, sondern von der Partei Die Partei (Die Partei, Neues Deutschland, junge Welt).

Tag 6 (Samstag, 15. Mai):

Heute gab es v.a. Berichte über den Parteitag der Linken, freilich auch oft undifferenziert und polemisierend BBotschaft meist: die Linke ist heillos zerstritten), aber NRW spielte in den Artikeln eher am Rande eine Rolle. Außerdem in der Presse:

Linkspartei in NRW: Scheitern soll es an den anderen (FAZ.net)

Die Linkspartei hat zwar verkündet, dass sie in NRW mitregieren will. In Wahrheit sind sich die Linken damit aber nicht ganz sicher. Ein Grund für das Zögern: Das Personal in Düsseldorf ist nicht ganz unproblematisch. (…)

Insgesamt aber überwiegt in der Bundesführung der Partei die Skepsis, dass ein solches Bündnis Heil brächte. Der bisherige Politikansatz „Wir und die anderen“, mit dem die Linkspartei gut gefahren ist, wäre endgültig dahin.

→ Aus der Partei selbst hört man ganz andere Stimmen. Wie kommt es, dass die Presse immer etwas anderes hört?

Doch das ist nichts Besonderes in der Linkspartei Nordrhein-Westfalens. Deren führende Politiker gehören zur „Antikapitalistischen Linken“ oder „Sozialistischen Linke“. Reformer, so heißt es in der Partei, schlössen sich wider ihrer Überzeugung einer dieser Strömungen an, weil sie sonst im Landesverband keine Karriere machen könnten.

→ Aber wenn das stimmt, hieße das nicht, dass vielleicht einige der Linken-Politiker gar nicht so radikal wären? Was denn nun?

Und dann kommen mal wieder Zitate aus der Report Mainz-Sendung. Außerdem geht es auch hier um die drei kurdischen Abgeordneten und die Yek-Kom.

Atalan sagt dazu, dass der Wahlaufruf von Yek-Kom nichts zu sagen habe; viele Migrantenorganisationen hätten zu seiner Wahl aufgerufen, weil er in der Flüchtlingshilfe aktiv sei.



Rot-grün-rote Gespräche: In NRW droht eine Koalition, die keiner will (Welt.de)

Die keiner will? Ganz sicher ist nur, dass die Springer-Presse sie nicht will, um keinen Preis. Ein paar Zitate aus dem Artikel: ” Hort des Wahnsinns” (wieder mal), “irrlichterndes Personal”,

Die meisten Mitglieder der elfköpfigen Fraktion im NRW-Landtag sind in den offen extremistischen Vereinigungen innerhalb der Partei wie der Sozialistischen Linken oder der Antikapitalistischen Linken organisiert und gehören zum „typischen Grauzonenfeld zwischen linken Bündnissen und Linksextremismus“, wie ein Verfassungsschützer meint.

→ Zuerst “offen extremistisch”, und dann sieht sie nicht mal der Verfassungsschutz als eindeutig extremistisch, sondern in einem mysteriösen “Grauzonenfeld”?

Außerdem, so die Welt, wollten die meisten der Abgeordenten der Linken angeblich nicht in die Regierung in NRW. Na dann muss sie sich ja keine Sorgen machen, oder?

Tag 7 (Sonntag, 16. Mai):

Sollte heute tatsächlich der erste Tag ohne Anti-Rot-Rot-Grün-Propaganda sein? Ich habe sicherlich nur etwas übersehen, oder es kommt noch was im Verlauf des Abends.

UPDATE:

Der Focus lässt seinem Hass mal richtig freien Lauf. Parteitag (danke an Recotard für den Hinweis!):

Linke in der Schwebe (Focus.de)

Wir sind die Guten

Ansonsten herrschte auf diesem Parteitag eine seltene Einmütigkeit in der Linken: Wir sind die Guten, weil wir die Einzigen sind, die raus wollen aus Afghanistan, weil wir schon immer gesagt haben, dass die Banken verstaatlicht und die Energiebetriebe “rekommunalisiert” werden müssen, dass Hartz IV ein Verbrechen und alle anderen Parteien ohnehin nur aus kaltherzigen Neoliberalen bestehen. Man kann das anmaßend und arrogant finden oder einfach auch nur dumm und lächerlich. Viele Konzepte der Linken sind schlicht realitätsuntauglich, da nützen auch die scharfen Worte Lafontaines in seiner Abschiedsrede nichts.

→ Fakten, Fakten, Fakten … Und dann wieder die Geschichte pragmatische Ost-Linke/ ideologische West-Linke, nur in Worten, die einen zweifeln lassen, ob es sich nicht doch um eine Satire handelt:

Man muss sich nur vor Augen führen, dass westliche Fundamentalisten bevorzugt gegen das “System” kämpfen und überall Kriegshetzer und Imperialisten sehen, während östliche Pragmatiker sich um Kita-Plätze kümmern und Stellen im öffentlichen Dienst abbauen



UPDATE:
Die Fernsehberichte über den Linken-Parteitag am Sonntag waren bei ARD und ZDF sogar noch relativ ausgewogen, im Deutschlandfunk/ Deutschlandradio Kultur allerdings extrem polemisch. Außerdem noch im Verlauf des Sonntags in den Medien:

Koalitionssuche in NRW: Zwischen Pest und Cholera (FAZ.net)

Auch wenn die Gegner eines Linksbündnisses in der SPD nicht in der Mehrheit sein dürften – ein Zusammengehen mit der Linkspartei würde die Sozialdemokraten vor eine Zerreißprobe stellen. Schon vor der Wahl haben konservative Sozialdemokraten wie der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann eindringlich vor einem Linksbündnis gewarnt: „Mit diesen Chaoten kann man nicht 18 Millionen Menschen regieren.“ Keinesfalls sei ein Bündnis mit der CDU ein Unglück für die SPD.

Ein anderer erfahrener Sozialdemokrat ist sich nun sicher: „Wenn wir ernsthaft beginnen, über ein Bündnis mit den Linken zu verhandeln, wird der Druck aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften enorm.“ Und in Anspielung darauf, dass nicht nur die Forderungen, sondern auch die Biographien und Äußerungen der elf Mitglieder der neuen „Linke“-Fraktion im Düsseldorfer Landtag wohl noch häufig Anlass für ein verheerendes Medienecho bieten werden, fügt der SPD-Genosse, der anonym bleiben will, hinzu: „Alle wissen, dass ein Linksbündnis eine Hatz und eine Quälerei würde.

→ Die Meinung des linken Parteiflügels wird freilich nicht dargestellt. Wenigstens wissen wir schon jetzt, dass die FAZ bei der Medienhatz auf jeden Fall mit dabei sein wird. Oh, und wir erfahren später dann noch, dass die Linke in Bielefeld nicht zuverlässig sei. Na dann.


Ganz sicher ist, dass die Kampagne in der nächsten Zeit weiter gehen wird. Und sie wird weiter beobachtet.


UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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