Zur Hartz-IV-Einigung: Missachtung der Verfassung

Die Einigung zu Hartz IV: Nur geringe Verbesserungen

Man hat sich also geeinigt bei den neuen Hartz-IV-Sätzen: Fünk Euro mehr gibt es dieses Jahr (rückwirkend zum 1. Januar), noch mal drei Euro nächstes Jahr. Diese Erhöhung liegt jedoch nur im Rahmen der Lohn- und Preisentwicklung – an Verbesserungen wurde hier also im Endeffekt gar nicht erreicht. Die Regelsätze für Kinder bleiben unverändert.

Auch die anderen Veränderungen am Gesetz sind von durchaus überschaubarer Reichweite. 400 Millionen Euro sollen zur Umsetzung des Bildungspaketes zur Verfügung gestellt werden, vor allem die Kommunen bekommen hierfür nun mehr Geld zugesprochen. Der Empfängerkreis des Bildungspaketes wurde ein wenig ausgeweitet; die Höhe der Sätze für die Kinder und Jugendlichen bleibt aber.

Für das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie die Weiterbildungsbranche soll es künftig über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz Mindestlöhne geben, für Zeitarbeiter über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Branchen hatten diese jedoch bereits vereinbart. Außerdem muss man anmerken, dass selbst die Union und die Arbeitgeberverbände für Leiharbeiter ohnehin Mindestlöhne beschließen wollten. Eine gleiche Entlohnung von Stammbeschäftigten und Leiharbeitern gibt es weiterhin nicht. Die Hartz-IV-Reform soll am Freitag im Bundesrat beschlossen werden.

 

Das Verfahren: Ein Hohn der Demokratie

Das  Einigungsverfahren widersprach dabei wieder einmal den meisten Standards demokratischen und transparenten Verfahrens: Vorausgegangen war eine demokratisch nicht vorgesehene oder legitimierte Verhandlungsrunde aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen. Die Partei Die Linke hatte man bewusst ausgeschlossen – die einzige Partei, die sich ausdrücklich gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung ausspricht. Der Rest wollte die Sache unter sich ausmachen. Zuletzt zogen sich jedoch auch die Grünen aus den Gesprächen zurück, da sie die Vorgaben des Budnesverfassungsgerichts zur Hartz-IV-Gesetzgebung nicht beachtet sahen.

Die Medien aber konzentrierten sich darauf, aus den Verhandlungen einen Zweikampf von Zensursula von der Leyen und Manuela Schwesig zu machen, von Parteienhickhack und -strei zu reden – und andere Aspekte völlig auszublenden. Der deutsche Michel regt sich auch lieber darüber auf, dass “die Parteien sich immer nur streiten, statt sich endlich mal zu einigen” als darüber, dass bewusst die Verfassung ignoriert wird.

Die SPD: Versagen auf ganzer Linie

Die SPD hat es dabei in den Verhandlungen tatsächlich geschafft, sich nicht etwa als die Partei darzustellen, die sich um die Verfassung kümmert, die ein soziales Gewissen hat und vergangene Fehler einsieht – ein schwer nachzumachendes Versagen.  Jedem SPD- Ortvereinsvorsitzenden wäre dies wohl gelungen.  Sie hat nicht einmal dem verlogenen Märchen der Mainstream-Medien, dass die SPD nun Schuld daran sei, dass “die Hartz-IV-Empfänger nicht einmal fünf Euro mehr bekommen”, etwas entgegengesetzt – dabei wäre auch dies so einfach gewesen. Der Dilettantismus der Partei hat einen neuen Höhepunkt erreicht.

Sie brachte vielmehr Themen in die Hartz-IV-Verhandlungen ein, die tatsächlich mit dem konkreten Thema an sich nichts zu tun hatten (Mindestlohn, Leiharbeit),  was die Medien genüsslich ausschlachten und die SPD als “Blockierer” darstellen konnten. Und sie zeigte sich immer wieder offen bereit für politische Kuhhandel. Nun stimmt sie am Ende sogar dem verfassungswidrigen Ermittlungsverfahren (siehe unten) der Bundesregierung zu und lässt sich dafür mit ein paar kleinen Verbesserungen abspeisen, die deutlich unterhalb des Erwart- und Erreichbaren liegen.

 

Hartz IV: Nach wie vor nicht verfassungskonform

So oder so: Auch die neue Hartz-IV-Regelung ist nach wie vor kaum verfassungsgemäß.  Es geht dabei nicht um die Summe an sich, nicht um fünf Euro oder acht Euro, sondern um das Verfahren der Ermittlung der Summe. Zahlreiche Punkte weisen darauf hin, dass die Bundesregierung bei der Ermittlung der neuen Hartz-IV-Regelsätze getrickst hat, um auf eine von vornherein feststehende Summe (für alleinstehende Erwachsene 364 Euro) zu kommen. Die Vorwürfe besagen im Kern, dass es sich dabei viel mehr um eine politisch gewollte statt einer objektiv ermittelten Größe handelt und die Regelsätze mit mehreren Tricks künstlich auf diese Höhe heruntergerechnet wurden. Die  vorgesehenen Einigung ändert an diesen Punkten nichts.

Es wird wohl zu einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht kommen. Mehrere Organisationen sowie Die Linke und die Grünen haben dies bereits angekündigt. Man kann ihnen dabei nur viel Glück wünschen. Eine solche Missachtung der Verfassung ist nicht hinzunehmen.

UPDATE (23.2.2011):

Jetzt ist die Einigung auch durch den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Am Freitag wird es dann im Bundesrat verhandelt, aber dort wird sie aller Voraussicht nach problemlos durchkommen.

Noch ein Hinweis auf einen lesenswerten Text von Christoph Butterwegge: Ein politischer Kuhhandel auf Kosten der Hartz-IV-Bezieher/innen. Der faule Kompromiss von CDU/CSU, FDP und SPD entspricht dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 9.2.2010 nicht (.doc, via Hebel macht Mittag)

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13 thoughts on “Zur Hartz-IV-Einigung: Missachtung der Verfassung

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  4. Nicht nur die beschriebenen Mißstände, die die SPD als verläßliche Volksverräter und im Groben Totalversagerpartei ausweisen, lassen D ziemlich arm dastehen. Sondern auch die wirklich traurige Rolle der ‘Vierten Säule der Demokratie’, die der gesamten Medienlandschaft, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Demokraten. Dieses ominöse Bildungspaket, daß angeblich Millionen von darbenden Kindern den Segen bringen soll, ist eine absolute Luftnummer. Die darbenden Kinder der Exkludierten sind leider ein faktum, aber die Sozialarbeiter und die warmen Mahlzeiten werden daran keinen Deut ändern.
    Für die Glücklichen, die die neuen Arbeitsplätze besetzen, mag es sogar echt segensreich sein, doch die gehörten ja eigentlich nicht zur Zielgruppe.
    Folgende Desinformationen fielen mir besonders ins Auge:
    Es wurde immer von 4,7Mio Betroffenen, halt die Hartzianer, geredet, die ‘auf die Reform’ warten. Dabei werden die noch um die Sozialhilfeempfänger aus Krüppel- und Rentnerkreisen bereichert.
    Es hängen also viel ,mehr Leute als genannt am spärlichen Tropf der nach wie vor nebulös ermittelten sogenannten Grundsicherung.
    Die Vermengung von h4-Themen, Mindestlohn, equal pay und sogar dem Kassengeschacher von Bund und Kommune macht in höchst entwürdigender Weise sämtliche Betroffenen zur Verhandlungsmasse bei themenfremden Roßtäuschereien. Geradezu infam das Ganze!
    Lindner nennt den Regelsatz schlicht ‘auskömmlich’. Daß kein Mensch auf der Welt von dem Geld ernsthaft soziale Teilhabe zu bewerkstelligen ist, sollte einem Erwachsenen, wie Lindner augenscheinlich einer ist, eigentlich klar sein. Außer einem Professor Dr. Butterwegge sah ich keinen Einzigen, der diesbezüglich überhaupt Stellung für die Hilfsbedürftigen bezog.
    Daß die Linke als von den verhandlungen Ausgeschlossene dann im TV dafür auch noch gebasht wurden, stellt die Welt auch völlig auf den Kopf.
    Diese Beobachtungen sind dem Morgenmagazin (‘Aktuelle Kamera’ auf Wessi-Art) und Phönix entnommen. Daß die eigentlich einzig Freien unter den Medienmachern eine so verkommene Propaganda-Show abliefern, sollte große Sorge beim mündigen Bürger auslösen.

  5. Der Betrag des Bildungspaketes pro Person ist viel zu niedrig, um damit viel zu erreichen zu können, und es kommt hinzu, dass es zu einer neuen Stigmatisierung von sozial Benachteiligten führen kann.
    Aber das ist ja bestimmt nicht so gewollt! (Ironie off)

    Zur Linken:
    Auch in einem hier verlinkten Artikel: “Die Linken haben nie einen konstruktiven Beitrag geleistet.” Na wie denn auch, wenn man sie nicht mitverhandeln lässt. Ansonsten war dieser Kommentar eigentlich recht gut, aber offensichtlich muss man immer noch was gegen die Linke schreiben, damit man nicht unter Verdacht gerät oder so.

    Ja, von Butterwegge gibt es ein gutes Interview dazu.

  6. @Degnaphta
    Ihre Anmerkung zu den Rentnern und Behinderten zeigt wie absurd das Konstrukt des Anreizes ist. Wir senken nur lang genug den Satz (Dank der Inflation braucht er nur lange genug konstant zu bleiben) und schon wird Opa wieder auf den Bau gehen. Wenn es nicht so traurig wäre dann könnte man über diese Logik lachen. Priol meinte in Tilt ja auch, dass er gar nicht mehr arbeiten bräuchte. Die Politik liefert ihm die Pointen frei Haus.

  7. Das Einigungsverfahren widersprach dabei wieder einmal den meisten Standards demokratischen und transparenten Verfahrens: Vorausgegangen war eine demokratisch nicht vorgesehene oder legitimierte Verhandlungsrunde aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen.

    Nö, ironischerweise ist genau das Gegenteil der Fall. Erstmals wird Politik, die schon in den Vermittlungsausschuss weitergeleitet wurde (der genuin intransparent ist da er nichtöffentlich tagt und die Protokolle erst in 2 Legislaturperioden einsehbar sind) öffentlich thematisiert. Dass sich da gewisse Akteurskonstellationen herausbilden (z.B. keine Linke, Grüne raus) spiegelt nur die realen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wieder. In der Sache würde es also so oder so kaum einen Unterschied machen.

  8. Aber der Bundesrat ist wenigstens noch indirekt demokratisch legitimiert. Und die Runde repräsentiert nicht die Mehrheitsverhältnisse, wenn eine Partei von vornherein ausgeschlossen wird.
    Und inwieweit war diese Runde wirklich tranparenter?

  9. Unter dem Label “Transparente Berechnung” stelle ich mir als mündiger bürger vor, daß die in Frage kommenden Rechenwege offengelegt werden. Selbstverständlich inklusive der verfügbaren Datenbasis.
    Nach welchen Kriterien wird das biologische Existenzminimum ermittelt? Welche Kriterien beziehen sich auf den soziokulturellen Aspekt?
    Daß erst ein neuer Ausdruck für die im GG Erwähnung findende “Soziale Teilhabe” kreiert und eingeführt werden muß, macht mich auch eher nervös, als daß es meine Transparenzerwartung erfüllt.

    Doch im MoMa heute morgen wurde wieder mehrfach (Gebetsmühle?!) betont, daß die h4-Verhandlungen endlich endlich endlich ja auch die Leiharbeit mit einer Regelung gesegnet haben. Als wäre es transparent und korrekt oder sonstwie positiv belegt. Was für eine Farce 🙁

  10. Cool, Einkommensstichprobe? Verbrauchsstichprobe?
    Ohne nähere Angaben, wie die erhoben werden, sind das nur lustige zusammengesetzte Substantive 🙂
    Der sogenannte ‘Warenkorb’, der in den 80ern für die Ermittlung des damaligen Sozialhilfesatzes kreiert wurde, war schon eine gewaltige Mogelpackung.
    In den 90ern kam dann der Trick mit der gefühlten Verbilligung eines preislich unveränderten Produkts durch ‘verbesserte technische Werte’ respektive erhöhte Anzahl an Funktionen. Mit der Featuritis im ‘home-entertainment-Bereich’ lassen sich da bemerkenswerte Ergebnisse erzielen.
    Diese Verschleierungen sind wahrscheinlich auch Teil der Verbrauchsstichprobe, was Transparanz noch schwerer wenn nicht unmöglich macht.

    Mir schwebt unter Transparenz bei der Ermittlung einer so elementar wichtigen Größe wie der Grundsicherung (inkl: Der mensch lebt nicht von brot allein.) eine ganz andere Herangehensweise vor.
    Wieviel braucht man denn, um ein bescheidenes Leben zu führen? Das ist doch die entscheidende Frage. Die berührt den Punkt, den eine echte Regierung eigentlich immer als Hauptaugenmerk haben sollte, nämlich das doofe und altbackene Preis-Einkommensverhältnis. Das ist die Schraube, an der unsere Volksvertreter eigentlich drehen sollten.
    Doch in der Richtung wird offene Arbeitsverweigerung betrieben, und die ganze Abteilung an das Märchen von Angebot und nachfrage verschoben. Irgendwelche ominösen ‘Märkte’ sollen das regeln. Was für eine Lachnummer, wenn es nicht zu so viel vermeidbarem Leid bei so vielen Betroffenen führte.
    Naja, warum sollten unsere religiösen Fanatiker wie die Markt-Taliban nun auch weniger radikal und extremistisch sein als Fundamentalisten in anderen Teilen der Welt.

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